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Archiv-Artikel

DGB geht auf Überzeugungstour

Der Neoliberalismus beherrscht die Debatten, stellen die Gewerkschaften fest. Nun schwärmen sie aus in die Gesellschaft,um dem entgegenzuwirken. Herr Sommer persönlich wird auf dem Markt und „vor dem Zoo“ für soziale Gerechtigkeit werben

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Eigentlich ist DGB-Chef Michael Sommer auf Jahre ausgebucht. Das soll demnächst anders werden; der Terminkalender wird entrümpelt, wie der Gewerkschaftsboss gestern ankündigte. „Das klingt banal“, räumte Sommer ein. Aber er will endlich den Menschen begegnen. Ab Mai, in einigen „Großstädten unseres Landes“.

DGB-Mitarbeiter beschrieben das Szenario so: „Am Sonntag vor dem Zoo, am Samstag auf dem Marktplatz“ soll sich Sommer mit den Bürgern unterhalten. Und das nicht nur einmal. Sommer: „Wir kommen immer wieder. Wir kommen im Mai, im Juni, im September und im November. Im nächsten Jahr und auch 2005.“

Das kann man als Versprechen oder auch als Drohung verstehen. In der nüchternen Sprache der Kommunikationsstrategen soll diese dreijährige Kampagne an immer denselben Marktplätzen auch eine „Erfolgskontrolle“ ermöglichen. Jedenfalls will man nicht weiter auf Plakate und Anzeigen setzen, um aus der Defensive herauszukommen. Denn wie IG-Metall-Chef Klaus Zwickel gestern schonungslos feststellte: „Neoliberale Lösungsansätze beherrschen die Debatte.“ Es drohe die Ökonomisierung aller Lebensbereiche.

Daher hat sich die IG Metall parallel noch eine zweite „nicht-typische Gewerkschaftskampagne“ ausgedacht. Der Arbeitstitel „ist noch nix“, wie Zwickel einräumte; er lautet „Pro Soziale Verantwortung für Fairness und Teilhabe in der Marktwirtschaft“. Da lachten selbst die 80 Delegierten, die sich gestern in Berlin zur jährlichen Sitzung des DGB-Bundesausschusses trafen.

Um nicht nur die eigenen Mitglieder, sondern „alle Bereiche der Gesellschaft“ zu erreichen, will die IG Metall „Botschafter“ gewinnen. Momentan würden Gespräche mit Persönlichkeiten aus Kirche, Kultur und Wissenschaft geführt – aber durchaus auch mit Unternehmern.

Dies erinnert spontan an eine Konkurrenzkampagne: die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Auch dort gibt es „Botschafter“ aus „allen gesellschaftlichen Bereichen“ und Parteien. Neben verdächtig vielen Arbeitgebern gehören dazu auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und der Chef der Arbeitsämter, Florian Gerster. Beides Sozialdemokraten, die sich im Rahmen der Initiative für „Eigeninitiative und Flexibilität“ aussprechen. Die IG Metall hat sie folgerichtig auf ihrem neuesten Flugblatt abgebildet – zusammen mit den traditionellen Erzfeinden FDP-Chef Guido Westerwelle, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt oder CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz. Auch dieses Flugblatt gehört zur neuen Kampagne.

Der Ton gegenüber der Regierung verschärft sich. Noch gibt es eine Schonfrist für den Kanzler bis zu seiner Regierungserklärung am 14. März. Aber man erwarte „sozial gerechte Reformen“, stellte Sommer klar. Eine „Enteignung“ der Beschäftigten werde man nicht hinnehmen. „Wir wollen keinen Konflikt um jeden Preis, wir scheuen aber auch keinen Konflikt.“