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Archiv-Artikel

Empörung über Zuwandererdebatte nach Pisa

GEW-Chefin Stange und Ausländerbeauftragte Beck: Das Bildungssystem ist schlecht, nicht die Zuwandererkinder

BERLIN taz ■ Der erneute Versuch, die Kinder von Zuwanderern für das miserable deutsche Abschneiden bei der Pisa-Studie verantwortlich zu machen, hat zu empörten Reaktionen geführt. „Die Migrantenkinder zum Problem der deutschen Schule zu erklären, ist der schäbige Versuch, Teilergebnisse für die politische Auseinandersetzung zu instrumentalisieren“, sagte Eva-Maria Stange, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Stange reagierte damit auf Zeitungsberichte und Politikeräußerungen, die den Tenor hatten: „Ausländerkinder senken Lernniveau“.

Eine Teilauswertung (von insgesamt zehn) des Bundesländervergleichs „Pisa E“ diskutiert die „Schulleistungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“. Sie kommt zu dem – wenig überraschenden – Ergebnis, dass „in Schulen mit einem höheren Anteil von Jugendlichen, die in der Familie nicht Deutsch sprechen, (…) im Durchschnitt geringere Leistungen erzielt werden“.

Der Zusammenhang wirke sich aber nicht linear aus, heißt es in der unveröffentlichten Studie, die der taz vorliegt. Das bedeutet: Bei einem Anteil von 20 Prozent Nichtmuttersprachlern sinken die Leistungen der Klasse sprunghaft ab. Besonders überraschend sei allerdings, so halten die Pisa-Forscher fest, „dass mit einem zusätzlichen Anstieg des Migrantenanteils auf 40 Prozent und mehr keine weitere Verringerung des mittleren Leistungsniveaus einhergeht“.

Die Wissenschaftler ziehen daraus den vorsichtigen Schluss, dass die Schulen mit (ethnischer) Heterogenität nicht umgehen können. Eine Reihe von Kultusministern deutet das Ergebnis hingegen mit einer rassistischen Konnotation. „Die Ergebnisse machen deutlich“, sagte zum Beispiel Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU), „welche Auswirkungen ein unkontrollierter Zuzug von Zuwanderung auf die Schulen hätte.“ Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte bereits im vorigen Sommer „Ausländer“ für die schlechte deutsche Schule verantwortlich gemacht.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Becke (Grüne) nannte Hohlmeiers Äußerungen Kokolores. „In ihrer Schlichtheit verwechselt Frau Hohlmeier Zuwanderer mit in Deutschland geborenen Kindern von Immigranten“, sagte Beck. Wenn Zuwandererkinder keine guten Leistungen erzielten, sei dafür auch die Schule verantwortlich. Hohlmeier wolle daher nur von den Defiziten der Bildungspolitik ablenken und billige Punkte in der Zuwanderungsdebatte machen, sagte Beck.

Auch die Grünenpolitikerin Beck zog aus Pisa Schlüsse. Die Studie lege nahe, dass alle Kinder früh in ihrem Spracherwerb unterstützt werden müssten. Das heiße, Kindergärten viel besser auszustatten und ihnen endlich einen Bildungsauftrag zu geben. Zudem solle das Schulsystem „fördern und nicht trennen“. Damit ist Beck nicht weit von Schulpolitikerinnen wie der Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, Karin Wolff (CDU), entfernt. Sie empfiehlt einen intensiveren Sprachunterrricht im Vorschulalter. CHRISTIAN FÜLLER