: Bombay im Krieg ohne Waffen
Arundhati Roy stellt klar: Sie plädiert für einen gewaltfreien Widerstand im Irak. Das sehen manche Teilnehmer des Weltsozialforums aber anders
AUS BOMBAY HANNES KOCH
Bevor die indische Schriftstellerin Arundhati Roy am Sonntagabend ihre Rede beim Weltsozialforum in Bombay begann, wollte sie einen Punkt klarstellen. Sie unterstütze ausschließlich gewaltfreien Widerstand, sagte Roy. Mehr gab es zu diesem Thema von ihr nicht zu hören. Danach hielt die Bürgerrechtlerin ihre angekündigte Rede zum Thema „Krieg gegen Frauen, Frauen gegen Krieg“.
Roy meinte offenbar, diese Richtigstellung schuldig zu sein. Denn ihre Rede zur Eröffnung des Weltsozialforums am Freitag hatte Fragen aufgeworfen, die beim Weltgipfel der Globalisierungskritiker seitdem munter diskutiert werden. Es geht darum, ob das WSF den irakischen Widerstand gegen die US-Besatzung des Landes unterstützen solle – und wenn ja, wie.
Großen Interpretationsspielraum hatte etwa Roys Äußerung gelassen, das Forum solle begreifen, dass es sich „im Krieg befindet“. Waren diese Ansage und ihre möglichen Folgerungen schon kryptisch genug, hatte Roy vor 50.000 Besuchern der Eröffnungsveranstaltung weiter ausgeführt: „Wenn wir wirklich gegen Neoliberalismus und Imperialismus sind, dann müssen wir nicht nur den Widerstand im Irak unterstützen, wir müssen selbst zum Widerstand im Irak werden.“
Was kann das heißen – „sich im Krieg befinden“? Arundhati Roy selbst ist nicht zu sprechen. Um sich den Trubel um ihre Person vom Leibe zu halten, beschäftigt sie in Delhi eine Agentin. Roy ist ungefähr so gut zu erreichen wie Außenminister Joschka Fischer. So ist jeder auf seine eigene Deutung angewiesen. Attac-Aktivist Sven Giegold sieht die Sache so: „Roy ist Schriftstellerin.“ Ihre Äußerungen seien eher symbolisch zu verstehen. „Sie will uns nicht sagen, dass wir zu den Waffen greifen sollen“, so Giegold. Der Organisator von Attac Deutschland meint, Roy wolle auf den „permanenten Kriegszustand“ hinweisen, in den der Neoliberalismus und die US-Hegemoniepolitik die Welt gestürzt haben. Giegold vertritt damit wohl die Mehrheitsmeinung beim WSF – kaum jemand interpretiert Roys Worte als Abkehr von der Gewaltfreiheit.
Was Roys zweite Äußerung angeht, die Globalisierungskritiker sollten zum Widerstand im Irak werden, ist die Lage kniffliger. Während vor allem die deutschen Attac-Aktivisten in Bombay jeden Gedanken an Waffengewalt weit von sich weisen, deutet man bei Attac Frankreich die Sache etwas anders. „Natürlich hat die irakische Bevölkerung das Recht, gewaltsam Widerstand gegen die Besetzung zu leisten“, sagt Christophe Aguiton vom wissenschaftlichen Beirat der französischen Attac-Sektion. Der Angriff der USA verletze das Völkerrecht, er stelle eine rechtswidrige Okkupation dar. Aguiton verweist auf das Recht der französischen Resistance im Zweiten Weltkrieg, Widerstand gegen die deutsche Besatzung zu leisten.
Walden Bello aus Bangkok, Vordenker der Organisation Focus on the Global South, spricht den Irakern ebenfalls das Recht auf Widerstand zu, geht aber einen Schritt weiter als Aguiton. „Wir sollten unsere Unterstützung des Widerstands aussprechen“, sagt Bello. Die Wahl der Mittel sollten die Iraker selbst treffen. Dabei sei es auch „legitim“, US-Soldaten umzubringen. Der Widerstand im Irak bestehe im Übrigen, so Bello, keineswegs nur aus Anhängern von Saddam Hussein: „Das sind normale Leute.“ Bello war im März 2003 selbst im Irak.
Attac-Wissenschaftler Christophe Aguiton ist da vorsichtiger. Er könne nicht einschätzen, sagt er, welche Gruppe im Irak unterstützenswert sei. Deshalb wolle er sich nicht zur Wahl konkreter Formen des Kampfes äußern. Was ihn allerdings mit Walden Bello verbindet, ist dies: Beide lehnen Selbstmordanschläge wie den vom Sonntag in Bagdad ab, bei dem 31 Menschen starben.
Aguiton wie Bello sprechen der Mehrheit des Weltsozialforums vermutlich aus dem Herzen, wenn sie das Recht auf Widerstand mit zwei weiteren Forderungen verbinden: Die US-Truppen müssten aus dem Irak abziehen, und danach müssten freie Wahlen ohne äußere Einmischung abgehalten werden. Und was heißt nun „Unterstützung des Widerstands“ für Globalisierungskritiker in Asien und Europa? Die Teilnehmer des Weltsozialforums arbeiten noch an einer Erklärung. Morgen endet ihr Treffen.