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: Wie Schauspielerinnen sich privat geben, und wie man ihnen am besten die Luftküsschen austreibt

Nur mit Zunge

Der Zufall, dieser vorwitzige Schuft, blies mich neulich auf die Premierenparty eines kleinen deutschen Berlin-Films. Ein Film voller junger Menschen mit Klemmchen in den Haaren und Dialogzeilen wie „Echt abgefahren!“, aber interessant eingerichteten Wohnungen. Wie sich Menschen mit solchen Klemmchen solche Wohnungen in solchen Gegenden und mit solchem Mobiliar leisten können, weiß nicht mal der Geier, aber das ist eine andere Geschichte.

Was jedoch nach der Vorführung bei der Premierenparty passierte, das faszinierte mich. Alle SchauspielerInnen aus dem Film waren anwesend und verhielten sich recht merkwürdig: Nie habe ich so schnell jemanden die Tanzfläche stürmen sehen. Während ich mich noch, das zweite Bier in der Hand anwärmend, in die Ecke drückte und überlegte, wo ich in den nächsten zehn Minuten rumstehen will, machten drei der Hauptdarstellerinnen bereits beim zweiten Basstakt („Peaches“ von den Stranglers) Ausdruckstanz. Richtigen Ausdruckstanz, so wie es in den Siebzigern Hippies in ZDF-Vorabendserien gemacht haben, oder in den Sechzigern Hippies in Drogen-Aufklärungsfilmen. Nach ein paar Minuten, noch während des ersten Stücks, kamen die männlichen Darsteller des Films dazu und machten ebenfalls Ausdruckstanz. Beim zweiten Stück, einer Ideal-Nummer, sangen sämtliche SchauspielerInnen, ob Neben- oder Hauptrolle, laut mit und wischten so exaltiert über die kleine Tanzbühne, dass ich auf ihren Tischen nach Hinweisen auf halluzinogene Drogen suchte, irgendetwas, leere Absinthflaschen oder halbe Pillen oder wenigstens ein paar Fliegenpilzreste. Aber da standen nur angetrunkene Flaschen Bärenpils.

Fünf Songs später war ich überzeugt, dass das Verhalten der SchauspielerInnen nicht mit äußeren Reizen, sondern mit innerer Einstellung zu tun hatte. Ob sich Bühnenmenschen in der Öffentlichkeit so aufführen müssen? Und ob, wenn ich jetzt zum Beispiel einen Verkleidungs-Damenabend mit dem Motto „Schauspielerin“ veranstalten und dazu heimlich auch zwei echte Schauspielerinnen, zum Beispiel Katja Riemann und Heike Makatsch, einlüde, ob die beiden überhaupt merken würden, dass meine Freundinnen alle nur so tun, als seien sie überkandidelt und exaltiert und gekünstelt? Und sich vielleicht sogar ganz wohl und unter ihresgleichen wähnten?

Gerne wüsste ich, ob Oliver Korittke sich ebenfalls so benimmt, wenn er auf seiner Premierenparty ist. Als der nämlich neulich bei „Rahaus Wohnen 2001“ in meiner Nähe stand und – genau wie ich – fassungslos die vielen herzförmigen Kissen und hässlichen Glitzerlampen bestaunte, wirkte er wie ein unaufgeregter und nett unrasierter Mann. Nicht wie ein eitler Geck. Aber wer weiß, vielleicht wedelt er auch sofort mit den Armen, gibt Luftküsschen und lächelt rund um sich zu, wenn andere vom Fach dabei sind.

Das mit den Luftküsschen habe ich übrigens den paar Menschen, die das je mit mir veranstalten wollten, ganz leicht ausgetrieben, seit ich stets ernst „Nur mit Zunge!“ brülle, wenn sie mit zum „Moi!“-gespitzen Lippen in meine Richtung kippeln. Nur am letzten Wochenende schaffte es einer in der schnuckeligen, frisch eröffneten Lee-Harvey-Oswald-Bar in Friedrichshain, meine Wange zu treffen, bevor ich ihm meinen feuchten Lappen als Schreck und Warnung in den Hals schieben konnte. Was daran lag, dass diese jungen Leute (die, wie ich hörte, teilweise auch nicht wissen, wer Lee Harvey Oswald war, aber die Videoinstallationen schick finden, ein Wunder, man sollte doch meinen, Anti-US-Präsidentismus ist heuer wieder total in) einfach reaktionsschneller sind als eine olle Schachtel wie ich. Dafür hab ich mehr Erfahrung, ich alter Harung. JENNI ZYLKA