: Kein Aufschrei, kein Proteststurm
betr.: „Und ab in die ganze Welt“, taz vom 14. 1. 04
Unter Verteidigungsminister Rühe wurden „Verteidigungspolitische Richtlinien“ erlassen, die einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Landesgrenzen ins politische Kalkül zogen. Damals gab es, auch in der taz, noch von Friedenswillen und feinem Gespür für geschichtliche Verantwortung getragene Kritik, Mahnung und Warnung. Im Januar 2004 wird lapidar über das Einsatzkonzept der Bundeswehr so engagiert berichtet wie über Genmais und Bundesbahn, also mäßig interessiert, journalistisches wie politisches Alltagsgeschäft halt. Kein Aufschrei, kein Proteststurm, obwohl es sich um einen Skandal handelt, der in der Geschichte dieser Republik beispiellos ist und eine politische Zäsur bedeutet. Was jetzt beschlossen werden soll, ist – als Fortsetzung der Probeszenarien Balkan und Afghanistan – der Versuch, militaristisch fundierte Politik unter dem Deckmantel scheinbar unverdächtiger, tatsächlich aber demagogischer Worthülsen moralisch zu legitimieren und demokratisch zu legalisieren! „Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“ und Kampf „gegen den internationalen Terrorismus“ verschleiern, um was es wirklich geht.
Erstens perfektioniert sozialdemokratisches Denken und Handeln den ökonomischen Krieg nach innen – Agenda 2010, Hartz IV, Gesundheitsreform usw. – und nach außen – WTO, Ausbeutung von Ressourcen weltweit, neoliberale Zerstörung von traditionellen wirtschaftlichen Grundlagen usw. – gegen die ärmsten, perspektivlosen, hungernden und kranken Menschen, es wird selbstverständlich, diesen Feldzug bis zur letzten Konsequenz zu führen, auch mit der Gewalt überlegener Waffentechnik, wenn jemand wagen sollte, an unserem Wohlstand zu rütteln, indem er meint, ihm gehöre, was ihm gehört, und sei er tausende Kilometer entfernt.
Zweitens erweist sich nun endlich, was 1914 und 1939 noch monarchistischem Größenwahn bzw. faschistischer Herrenvolkideologie zu entspringen schien, als urdeutsches Übel, das sich nicht scheut, sozial-demokratische – also in ihrer Substanz friedliche – Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenlebens in eine moderne Variante des vor allem rassistisch unterlegten Mottos zu pervertieren: „… und morgen die ganze Welt!“ – worauf ja auch die taz-Schlagzeile anspielt, und es drängt sich auf, rhetorisch fragend zu ergänzen: „Wer hat uns verraten …“
Drittens schließlich hat unser „Minister für deutsche Ordnung weltweit“ einen feinen Sinn für die treffsichere Pointe bewiesen: In den Tagen, an denen sich der – wenigstens von einigen Tageszeitungen und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht vergessene – Völkermord an den Hereros zum hundertsten Male jährt, hat er unmissverständlich reagiert auch in Richtung Namibia: Wiedergutmachung? Seid vorsichtig und hört genau zu, wir knüpfen dort an, wo wir vor hundert Jahren aufgehört haben, wenn es sein muss, und wir sind sicher – dazu brauchen wir unsere neue Bundeswehr schließlich – es wird sein müssen, wo auch immer.
Ja, es war der passende Tag, um unter Beweis zu stellen, die Deutschen lassen keinen Zweifel daran, dass sie an ihre kolonialistische und imperialistische Tradition anknüpfen wollen und werden. Und wenn wir, deren Schweigen und Hinnehmen ihre sicherste Legitimation ist, gegen diesen Krieg nach innen und nach außen, den wir täglich unerbittlicher erleben, nicht aufstehen, werden unsere Kinder und Kindeskinder uns eines Tages zu Recht eine Antwort auf die Frage abverlangen, die wir jahrzehntelang – und vielfach vergebens – unseren Eltern gestellt haben: „Was habt Ihr getan, um die mörderischen Feldzüge hier und anderswo zu verhindern?“
KARL-HEINZ BARTENS-WINTER, Wuppertal,
GÜNTER REXILIUS, Mönchengladbach
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