: König von Deutschland
DAS SCHLAGLOCH von MICHAEL RUTSCHKY
Der britische „Economist“ nannte es unlängst das „größte politische Spektakel der Welt“. In der Tat ist es beeindruckend, mit welchem Aufwand an Energie, Zeit und Material die US-Bürger alle vier Jahre mit einer Mischung aus Basis-Demokratie und Show-Business ihren Präsidenten wählen. Der Prozess beginnt oft schon vor dem eigentlichen Wahljahr, wenn die ersten Interessenten für das mächtigste Amt der Welt ihren Hut in den Ring werfen. Er gipfelt im Wahltag, der traditionell der Dienstag nach dem ersten Montag im November ist.
„Süddeutsche Zeitung“, 19. Januar 2004
Es kommt mir so vor, als habe die Bundesrepublik die Wahl des amerikanischen Präsidenten stets mit außerordentlichen Affektmassen begleitet. Immer steht uns dies Staatsoberhaupt-cum-Regierungschef viel näher als jedes andere; näher als der jeweilige Bundeskanzler, könnte man behaupten, auf jeden Fall näher als der Bundespräsident.
Das gilt positiv wie negativ. Letztes Jahr durften wir uns an die Tränen erinnern, die unsere Mütter vergossen, als am 22. November 1963 der 35. Präsident erschossen worden war; wir selber, frisch gebackene junge Linksradikale, verbissen uns alles Weinen und wussten das Attentat gesamtgesellschaftlich abzuleiten. Auch hingen wir dem Gedanken an, Einzelpersonen machen keine Geschichte; man beobachte anonyme Mächte und Prozesse, dann weiß man mehr.
Das halte ich immer noch für richtig. Aber gleichzeitig beobachte ich, dass meine Affekte den 43. Präsidenten bei weitem zu intensiv begleiten. Wenn ich nach dem Kino mit meinem alten Freund Theckel a couple of beers vernichte, erfreuen wir uns stets daran, dass wir George W. Bush mit einer Abneigung begegnen wie vordem nur Richard Nixon. „Und dabei hatte Nixon was Tragisch-Dämonisches, während il Presidentino nur ein lächerliches Männchen ist.“
Dass der amerikanische Präsident auch in Deutschland die politischen Gefühle dominiert, dafür bietet sich eine rationale Erklärung an. Im Kalten Krieg war die BRD so restlos Teil des amerikanischen Imperiums, dass sie dessen Leiter mit gutem Grund als VIP klassifizierte. Die allgegenwärtige Angst vor dem Atomkrieg malte konstant das Bild aus, dass der Präsident bloß einen Knopf zu drücken brauche, damit … Umso wichtiger, ob man ihm ver- oder misstraute. Meinem Freund Theckel und mir tat es gut, dass wir in „13 Days“ einen so grauen und kränklichen Kennedy vorgeführt bekamen, wie er die Kuba-Krise von 1962 mit großem Geschick auflöst.
Überhaupt, der Präsident im Kino. Ich gestehe, dass Nixon (mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle) mir denselben näher brachte, dass ich Mitleid empfand mit diesem paranoiden Machtpolitiker, in dessen Greifweite stets ein gefülltes Whiskyglas stehen musste (das dienstbare Geister unauffällig entfernten, wenn die Presse kam). Es ziemt sich, um einen alten Feind einmal richtig herumzugehen – dagegen mochte ich den „JFK“-Film desselben Regisseurs ganz und gar nicht, weil er seinerseits die paranoiden Gelüste bedient.
Was die Atomkriegsangst angeht – die sich so spurlos auflöste, als hätte sie uns nie gequält – , so ist unbedingt Peter Sellers’ zu gedenken, der in „Dr. Strangelove“ den höflich-hilflosen Präsidenten gibt; sowie Henry Fondas – ohnedies die Idealbesetzung für die Rolle – , der in einem Film namens „Fail-Safe“ New York opfern muss, weil ein amerikanischer Irrläufer Moskau vernichtet hat – ich fürchtete mich entsetzlich. Viele Jahre früher ist Henry Fonda, wie die Kinogeher wissen,die Hauptfigur in dem tränentreibend schönen „Young Mr. Lincoln“.
Dass man im Kino so oft einen amerikanischen Präsidenten zu sehen bekommt, leitet sich gewiss aus der Konstruktion des Amtes her. Wie eine riesige und mächtige Republik alle vier Jahre eine Art Monarchen wählt, den keine dynastischen Affiliationen vorherbestimmen, das regt das Fantasieren mächtig auf. Die Souvenir-Kioske um das Weiße Haus herum offerieren ein breites Angebot an Sweat- und T-Shirts für Kinder, die auf Brust und Rücken die Aufschrift tragen: „Future President of the United States“. Das ist die ironische Fassung der Fantasie, jeder Amerikaner kann der mächtigste Mann der Welt werden, wie die Formel lautet.
Besonders heftig wird sich in Deutschland das Fantasieren gestalten, wenn Hillary Clinton kandidiert, und mein alter Freund Theckel und ich geben uns gern dem Schwadronieren hin, welche Erregungswelle uns überrollt, wenn sie als Präsidentin einem Attentat zum Opfer fällt („der Kennedymord war nichts dagegen“). Aber, wie gesagt, die Bundesrepublik unterhielt seit je ein besonders intensives Verhältnis zum amerikanischen Präsidenten. Meine Eltern hingen dem Präsidenten Roosevelt persönlich in Dankbarkeit dafür an, dass er die USA in den Krieg mit Hitlerdeutschland geführt hatte, und meinen Vater – 2003 wäre er 110 Jahre alt geworden – hätte es sehr erbost, dass man die alte rechtsnationale Legende, Roosevelt provozierte die Japaner zum Angriff auf Pearl Harbor, neuerdings wieder begeistert weitererzählt (die USA hätten neutral bleiben und uns erlauben müssen, das Großdeutsche Reich aufzubauen, grübelten rechtsnationale Kreise im Westdeutschland der Fünfziger gern verbittert). Es muss auch diese Zurechenbarkeit von Handlungen dafür sorgen, dass man sich so gern mit dem amerikanischen Präsidenten beschäftigt: Roosevelt im Krieg mit Hitler, Kennedy und die Kubakrise, George W. Bush marschiert im Irak ein. Dagegen, so scheint es, gibt’s bei uns nur verworrene Kabinettsbeschlüsse, deren genaue Zielrichtung niemand erkennt.
Diese Umrissklarheit des Amtes sorgt aber gleichzeitig für das Misstrauen; vor allem dann, wenn nicht unser Mann gewählt ward, sondern der andere. Beim jungen Mann kommt hinzu, dass einer in der Rolle des Königs automatisch seine rebellischen Impulse stachelt. Nein, noch komplizierter: dass ich mit 20 für Kennedy schwärmte, musste ich den Kumpels verschweigen; der junge Mann wahrt politischen Führern gegenüber demonstrativ seine Unabhängigkeit. So durfte ich erst später eingestehen, dass mich die amerikanische Präsidentenwahl immer sehr beschäftigte und es mir nie gleichgültig war, wer sie gewann, der unsere oder der andere.
Was in der Bundesrepublik stets befremdete, das waren die Aspekte von Show und Jokus, die erkennbar den Prozess mit bestimmen. Die amerikanische Präsidentenwahl ist halt die Mutter aller Casting-Shows, und sie macht den Teilnehmern wie dem Publikum unverhohlen Freude. Man kann sich vorstellen, welchen Schock Alteuropa, an dynastisch legitimierte Könige gewohnt, angesichts dieses Mechanismus erlitt, der feine Herren ebenso wie grobe Bauern auswählen konnte. Und der Wahlkampf mit seinen vulgären Showelementen unterschied sich von der feierlichen Selbstinszenierung politischer Macht im alten Europa gründlich.
Neulich haben wir wieder mal „The Man Who Shot Liberty Valance“ gesehen, einen der schönsten Western von John Ford. Dass bei den politischen Versammlungen, die Entscheidungen treffen, viel Redekunst und Sinn für Massenpsychologie im Spiel ist, der Film lässt keinen Zweifel daran. Aber am Ende freut man sich extra, wie das unfeierliche Tohuwabohu zu einem klugen Ergebnis kommt. Wer dies Jahr mein Mann wäre? Wesley Clark.
Fotohinweis: Michael Rutschky ist Publizist und lebt in Berlin