Wir Kinder der Kybernetik

Mit „Sim City“ baut man sich am Bildschirm eine eigene kleine Stadt. Nun ist die vierte Neuauflage des Computerspiel-Klassikers erschienen, der einst ein ganzes virtuelles Genre definieren half

von TILMAN BAUMGÄRTEL

Am Anfang war die Festplatte, und die Festplatte war wüst und leer. Dann installiert man ein Betriebssystem, das Spiel „Sim City“, und aus Morgen und Nacht ward der erste Tag. Mit der Maus rodet man geschwind ein Landstück. Man lässt Berge, Seen und Krater entstehen und wilde Pferde und ein Waldtier, das da lebt und webt. Mit ein paar Mausklicks mehr bringt man lebendiges Getier hervor, ein jedes nach seiner Art. Dann ein Industriegebiet, eine Bezirksbücherei und eine Kläranlage, und schon wimmelt es da unten und mehret sich, die Schlote beginnen zu rauchen und die Apfelsinen in den Obsthainen zu wachsen.

Schon nach wenigen Minuten ist so auf dem Bildschirm eine komplette kleine Welt entstanden, die vor sich hin wurstelt, wie eine kleine Welt eben so vor sich hin zu wursteln pflegt. Ende Januar ist die vierte Inkarnation eines der erfolgreichsten Computerspiele aller Zeiten erschienen: In Sim City ist man Bürgermeister einer virtuellen Stadt, die man im Laufe des Spiels entwickelt. Macht man das gut und sind die Steuern nicht zu hoch, ziehen schon bald kleine, „Sims“ genannte Bewohner zu, die arbeiten, Unternehmen gründen und einkaufen gehen. Wenn man ganz nah auf das Spielfeld zoomt, kann man ihnen dabei zusehen, wie sie lustig Straßen pflastern, kleine Häuschen und große Fabriken hochziehen.

Ein Ende des Spiels oder gar einen „Sieg“ gibt es im Gegensatz zu traditionellen Spielen nicht. Man kann so lange an der Stadt herumdoktern, wie man die Geduld hat, sich mit mäkelnden Bürgern und fehlender Wasserversorgung in strukturschwachen Stadtteilen herumzuärgern. Oder bis einem ein überraschender Vulkanausbruch das ganze Spielfeld zerstört. Das war dann das Schicksal, wie es auch in einem Computerspiel zuschlagen kann.

Die erste Version von Sim City, die 1989 erschien, war ein Überraschungserfolg: Schöpfer Will Wright wollte mit seinem Game einen „System Simulator“ schaffen. Sim City definierte damit ein komplettes Computerspielgenre. Seither sind Spiele entstanden, bei denen man den Bau eines Vergnügungsparks und die Entwicklung eines Pornofilmstudios gestalten kann, im Wilden Westen Eisenbahnen bauen oder im Zweiten Weltkrieg Schlachten schlagen kann. Will Wright wird darum heute zusammen mit Sid Meier („Civilization“) oder John Cormack („Quake“, „Doom“) als einer der ersten Autoren des Videospielgenres betrachtet. Seine letzte Schöpfung war das Spiel „Die Sims“, bei denen man das Leben einer kleinen Familie steuert und mit dem er selbst den Erfolg von Sim City noch übertroffen hat.

Ihm ging es vor allem darum, ein sich selbst entwickelndes System zu schaffen, dessen Parameter von seinen Usern beeinflusst werden können, dass aber auch ein autonomes Eigenleben führt. So ist Sim City letztlich ein spätes Kind der Kybernetik – und die Welt, die man in dem Game simuliert, ein unendlich komplexer Regelkreis, in dem jede Entscheidung und jede Handlung Auswirkungen auf viele andere Aspekte des Spiels hat. Gleichzeitig ist Sim City natürlich ein ur-amerikanisches Spiel: Territorien besetzen, Landschaft besiedeln, Städte bauen, diese mit Vorstadtsiedlungen und Hochhäusern zustellen – und sich dann über die Umweltverschmutzung wundern, die aus ununterbrochenen Verkehrslawinen durch die City resultiert.

Die Fähigkeiten, die man erwerben muss, um in Sim-Land souverän zu herrschen, sind durchaus mit den Anforderungen eines leichten Bürojobs vergleichbar: Um als Spieler von Sim City zu bestehen, braucht man mindestens so viel Fachwissen wie als Telefonist, Empfangsdame oder Briefe-Sortierer. Ironischerweise muss man dieses Können auch noch am Computer zum Einsatz bringen – und damit an dem Gerät, an dem viele Sim-City-Spieler ohnehin einen Großteil ihres Arbeitstages verbringen. Dort tun sie oft im technischen Sinne auch nichts anderes als beim Spielen. Eigentlich ist Sim City nichts weiter als eine recht komplexe Datenbank, die sich unter der Spieloberfläche wie hinter einer Tapete verbirgt und die den User ununterbrochen mit neuem Input füttert (Raketentestgelände anlegen! Steuern erhöhen! U-Bahn anlegen!). Selbst einige der Bedienelemente – wie die kleine Toolbar am unteren Rand des Bildschirms oder die Menüleisten, durch die man sich klickt – stammen direkt aus handelsüblicher Büro-Software.

Das Leben als Datenbank. Und die Datenbank als postmodernes Gleichnis: Will Wright, der Schöpfer des Spiels, sieht sein Spiel auch als eine Methode, den Usern die Komplexität des modernen Lebens anschaulich zu machen. Für die amerikanische Regierung hat seine Firma Maxis sogar schon eine Version des Spiels entwickelt, das Sim Health heißt und die Widrigkeiten des amerikanischen Gesundheitssystems simuliert.

Im Vergleich zu seinen Vorgängern haben sich bei der neuen Sim-City-Version nur wenige Details verändert. Aber wer den notwendigen, superschnellen Computer besitzt, wird dafür mit einer fast fotorealistischen Detailfreude belohnt. Doch wenn man sich mit großem Zoom die fein gerenderten Stadtlandschaften ansieht, beginnt man sich zu fragen, ob das ganze Spiel nicht vielleicht auch eine Satire auf unsere Gegenwart sein könnte. Denn unter dem Mikroskop wirken die Liliput-Städte mit ihren Schnellimbissen, Eisdielen und Suburbs, gerade weil sie so realistisch aussehen, irgendwie bizarr.

„Sim City 4“, Maxis, Electronic Arts,49 Euro, für PCs