piwik no script img

Archiv-Artikel

Ins Verhängnis trotten

Menschen, die unten sind und deren Weg auch weiterhin bergab führt: Das Filmkunsthaus Babylon zeigt eine Retrospektive mit pathetischen, melancholischen und entschieden feierlichen Filmen des Regisseurs Fred Kelemen

Verzweifelte Männer schweigen, verzweifelte Frauen geben sich anderen Männern hin

Schon die Titel deuten auf eine gewisse Tendenz zur pathetischen Melancholie bzw. entschiedenen Feierlichkeit: „Kalyi – Zeit der Finsternis“ (93), „Verhängnis/Fate“ (95), „Frost“ (97) und „Abendland“ (99) heißen die Filme, in denen Fred Kelemen Regie führte. Anfangs wurde der Regisseur und Kameramann als Nachwuchsgenie wie der junge Lars von Trier gefeiert, mit dem ihn tatsächlich auch einiges verbindet: eine gewisse Humorlosigkeit etwa und der unbedingte Wille zur Authentizität, der seine durchgehend grobkörnigen Filme zuweilen recht theatralisch wirken lässt.

In den letzten Jahren betätigte er sich auch – an der Volksbühne und in den Sophiensälen – als Theaterregisseur. Das Filmkunsthaus Babylon zeigt nun – noch bis Anfang Februar – eine Art Kelemen-Retrospektive, bei der man sich nicht nur die Filme anschauen kann, in denen Kelemen Regie geführt hatte, sondern auch die, in denen er als Kameramann mitwirkte.

Mit „Verhängnis“, seinem dffb-Abschlussfilm, stürmte Kelemen quasi die Hitparade. Die Kritiker waren begeistert. Der Film sei „experimentell und trotzdem großartig, wahrscheinlich genial“, eine „Choreografie des torkelnden, blinden, blind-frohen, blind-angstvollen Menschenlebens“ (Jens Jessen), eine „einzigartige visionäre Leistung“ (Susan Sontag) . Das düstere, osteuropäisch anmutende, mal an Tarkowski, mal an Kelemens Lehrer Bela Tarr erinnernde Werk wurde mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet und auf dreißig internationalen Festivals bejubelt. Es geht – wie in allen Kelemen-Filmen – um eine traurige Liebesgeschichte; um Menschen, die unten sind und deren Weg auch weiterhin bergab führt.

Valeri lebt im Exil. Etwas warf ihn aus der Bahn. Ein bisschen verdient er mit trauriger Akkordeon-Musik in U-Bahngängen oder beim Billard. Er liebt Luba, doch als er sie mit ein bisschen Geld in der Tasche aufsucht, ist sie grad mit einem Liebhaber zusammen, den Valeri erschießt. Unter Schock und halb nackt flieht Luba aus der Wohnung auf die düstere Straße. Die wacklige Kamera bleibt nun unendlich lange bei ihr, verfolgt sie in eine Bar, in der sie ihre Verzweiflung mit Schnaps und Sex bewältigen, vielleicht auch steigern möchte. Die Männer in der Bar sind Waschlappen, Zuhälter oder Tiere, und die endlose Szene – eine Variation der Erzählung „Der Tod“ von Georges Bataille – endet mit einer Vergewaltigung. Am Ende des Films trifft sie Valerie wieder, und gemeinsam trottet man weiter ins Verhängnis.

Es dauert eine Weile, bis man merkt, dass das alles in dem Teil von Kreuzberg gedreht wurde, der früher 61 hieß und im Film braunstichig und düster ausschaut. Wie nur wenige Regisseure hat Fred Kelemen in seinen Filmen die osteuropäischen, sehnsüchtig-melancholischen Elemente von Berlin und der ländlichen DDR herausgearbeitet. So ähnlich hat’s ja tatsächlich ausgesehen in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre. Die Bilder seiner Filme sind fast durchgehend braunstichig und grobkörnig. Die Helden reden wenig, rauchen und trinken viel, wirken geschlagen vom Leben und behalten doch ihre Würde.

Ähnlich pathetisch verzweifelt wie in „Verhängnis“ – verzweifelte Männer schweigen, verzweifelte Frauen geben sich schwarzromantisch anderen Männern hin – gestalten sich die Geschlechterverhältnisse auch in den anderen Kelemen-Filmen.

Als Filmfreund bemängelt man manchmal ein gewisses Epigonentum. Im viereinhalb Stunden langen „Frost“ zitiert Kelemen etwa unverfroren Bela Tarrs Meisterwerk „Satanstango“. Auch das existenzielle Pathos seiner Helden wirkt zuweilen etwas übertrieben. Regelrecht irrwitzig ist etwa eine Szene in „Abendland“, in der sich ein polnischer Glockengießer, der seine Arbeit sinnlos findet, weil die Menschen nicht mehr glauben, als Klöppel in eine Glocke hängt. Einen anderen Verzweifelten bittet er zu läuten bis zum blutigen Ende.

In seinen Bildern – auch als Kameramann für andere – in der Auswahl vom Leben gebeutelter Gesichter und düster melancholischer Räume, auch in Szenen haltloser Räusche ist Kelemen meisterhaft. Am beeindruckendsten vielleicht eine halbdokumentarisch wirkende, übrigens in Groß-Ziethen gedrehte Kneipenszene gegen Ende von „Frost“, gefilmt aus der Perspektive haltloser Betrunkenheit. Die Wahrnehmung zerfällt in bedeutungslose Fetzen, bleibt an sinnentleerten Details hängen; den Kneipengesichtern, kleinen Gesten, wie jemand zum Beispiel seinen Finger in den Bierschaum taucht. Alles hört sich so an, als hätte man grad Fieber: Rülpsen, betrunkene Gesprächsfetzen, die quäkende Stimme einer älteren Frau, die immer wieder vom harten Winter 45 erzählt, und dazwischen Schlagermusik.

Kelemens Filme korrigieren die Rede von einer in den Neunzigerjahren angeblich vorherrschenden Ironie. Wäre schön, mal wieder was Neues von ihm zu sehen. DETLEF KUHLBRODT

Bis 5. 2., Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte