Ein Referendum ist ein Risiko

Abstimmungen über EU-Themen verliefen nicht immer so wie gewünscht

BRÜSSEL taz ■ Mit der neuen Beitrittswelle gewinnt das plebiszitäre Element in der EU gewaltig an Boden. Neun der zehn Anwärter werden in den nächsten Monaten das Volk befragen, und dies ist keineswegs in allen Verfassungen vorgeschrieben. Die Politiker möchten sich aber für diese weitreichende Entscheidung Rückendeckung und zusätzliche Legitimität verschaffen.

Um ein Debakel zu vermeiden, haben die so genannten Visegradstaaten letzten September in Warschau eine „Dominoregie“ ausgeheckt: Zuerst werden die europafreundlichen Ungarn am 12. April aufgefordert, ihre Stimme abzugeben. Ist der Boden mit einem – hoffentlich – positiven Ergebnis vorbereitet, folgt am 16. und 17. Mai die Slowakei, voraussichtlich am 8. Juni sind die Polen an der Reihe, und ganz zum Schluss – 15. und 16. Juni – werden die bisher unsichersten Kandidaten befragt, die Tschechen. Die jüngste Umfrage macht diese Sorgen allerdings gegenstandslos: Danach werden sich 77 Prozent der tschechischen Wahlberechtigten für den EU-Beitritt entscheiden.

Ähnlich taktisch wurde auch die letzte Erweiterungsrunde vorbereitet. 1994 machten die Österreicher mit einer satten Zweidrittelmehrheit den Anfang. Es folgten die Finnen mit 57 Prozent Jastimmen und schließlich die Schweden mit 53 Prozent. Doch der Sog für die Wackelkandidaten war nicht stark genug: Am 28. November 1994 lehnten 53 Prozent der NorwegerInnen den Beitritt zur Union ab.

Im Rahmen des Konvents für eine EU-Verfassung wird darüber nachgedacht, ob nicht ein paneuropäisches Referendum die Distanz zwischen Brüssel und seinen Bürgern verringern könnte. Viele der alten EU-Staaten stehen allerdings plebiszitärer Demokratie skeptisch gegenüber. So löste im September 2000 der Vorschlag von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, der Osterweiterung durch ein Referendum in Deutschland die nötige Legitimität zu verschaffen, einen innenpolitischen Sturm der Entrüstung aus.

Das „Initiative & Referendum Institute Europe“ (IRI) in Amsterdam hat im Auftrag mehrerer Europaabgeordneter die rechtlichen Rahmenbedingungen in der erweiterten Union untersucht. Sein Fazit: In 16 von 25 Mitgliedsstaaten sind die Voraussetzungen gut bis sehr gut, dass 2004 ein paneuropäisches Referendum über die neue Verfassung stattfinden kann. Laut IRI sind die Chancen in Deutschland, den Niederlanden und Spanien immerhin noch als „mittel-gut“ einzuschätzen, da dort ein breiter politischer Wille dafür vorhanden sei.

Völlig offen ist aber, was mit der neuen EU-Verfassung geschehen soll, wenn sie nicht in allen Ländern die erforderliche Zustimmung erfährt. Behalten diese Staaten dann einfach den alten Nizza-Vertrag? Oder treten sie aus der Union aus? Oder wäre – wie jüngst bei der Volksabstimmung in Irland fast geschehen – die Entwicklung der ganzen Union blockiert, weil ein Land Nein gesagt hat? Mehr Legitimation – das wissen auch die Staats- und Regierungschefs – bedeutet zunächst mehr Risiko und weniger Kontrolle. Ein überwältigendes Plebiszit für Europas Verfassung wäre ein Pfund, mit dem sich in den nächsten Jahren gut wuchern ließe, wenn es um die gemeinsame Verteidigungspolitik, um EU-Steuern oder um die EU-Grenzpolizei geht. Sollte die Sache aber schief gehen, wäre die Vertragsreform für viele Jahre politisch nicht mehr durchsetzbar. DANIELA WEINGÄRTNER