: Der Diplomat aus der Steppe
dendeviin terbishdagva
Als der neue Botschafter an einem Sonntag im November letzten Jahres, direkt aus Ulan-Bator kommend, seinen neuen Amtssitz in der Berliner Gotlandstraße inspizierte, bekam er nicht einmal einen Tee serviert. Zu verblüfft waren seine künftigen Mitarbeiter über diesen neuen Arbeitsstil. Terbishdagva (sprich Terbisch-dau), Jahrgang 1956, geboren in der mittleren Mongolei, aufgewachsen in der Hauptstadt Ulan-Bator, studierte, wie 30.000 andere Mongolen, in der DDR. Als Lebensmitteltechnologe machte er anschließend in seiner Heimat Karriere, erst in einem Fleischkombinat, dann als Unternehmer, Politiker – und heute als ein auch von der Opposition geschätzter Botschafter
Interview ADRIENNE WOLTERSDORF und DONDOG BATJARGAL
taz: Es gibt nicht viele Botschafter, die mit ihrem Einsatzland so vertraut sind, dass sie sogar seine Wurstrezepturen kennen.
Dendeviin Terbishdagva: Stimmt. Als Lebensmitteltechnologe bin ich eine Ausnahme im Diplomatischen Corps. Ich bin mir aber noch nicht im Klaren darüber, ob es ein Vor- oder ein Nachteil ist, Berlin so gut zu kennen.
Was reizt Sie daran, hier Botschafter zu sein? Als Unternehmer und Politiker konnten Sie zu Hause doch mehr bewegen als auf Berliner Empfängen?
Es reizt mich ja auch eigentlich nicht. Solange ich Vizeminister für Landwirtschaft und Ernährung war, bin ich Tag und Nacht mit dem Jeep auf den schlechten Lehmpisten der Mongolei unterwegs gewesen. Ich habe mir tausend Gedanken über meine Heimat gemacht, Konzepte ausgedacht, viel gearbeitet. Mit war einfach klar: Du bist jetzt ein Staatsmann. Du musst der Mongolei dienen. Dann wurde der Botschafterposten in Berlin frei und unser Parlament hat mir das Amt angetragen. Wenn der Staat mir sagt, du musst, dann bin ich bereit. Die deutsch-mongolischen Beziehungen sind sehr wichtig für uns. Und nach Deutschland komme ich wirklich von ganzem Herzen.
Warum hat man Sie nominiert?
Meine deutsche Ausbildung, weil ich Deutsch spreche, die kulturelle Prägung. Und weil deutsche Prinzipien in meinem ganzen Leben mir und meiner Heimat geholfen haben.
Sie meinen preußische Tugenden?
Ja, in der Mongolei werde ich Deutscher Terbisch genannt, weil ich bestimmte eiserne Prinzipien habe. Zum Beispiel Pünktlichkeit. Wir sind ein Nomadenvolk mit nomadischen Traditionen, da gehört Pünktlichkeit nicht dazu. Das ärgert mich schon ziemlich.
Sie sind also fast schon ein mongolischer Deutscher?
Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich ununterbrochen mit Deutschland zu tun. Das hat mich sehr geprägt und es ist mein Schicksal. Ich kann einfach mongolisch und deutsch denken.
Was ist das denn, deutsch denken?
Wir sind offener als die Deutschen. Die überlegen und können nicht so spontan sein wie wir. Das sehe ich besonders beim Wirtschaftsgebaren. Deutschland ist eines der größten Geberländer der Mongolei, aber nur wenige deutsche Unternehmen investieren dort. Bei Direktinvestitionen sind die Deutschen nur auf Platz 17. Sie sind einfach ein bisschen vorsichtig. Das ist zwar gut, aber man muss auch risikofreudig sein. Bei Humor und so … na ja, jedes Volk ist unterschiedlich. Viele Mongolen finden die Deutschen auf den ersten Blick distanziert. Ich habe aber hier sehr gute Freunde. Wir lachen, feiern, singen und tanzen zusammen. Und wir diskutieren natürlich, also ich hab da gar keine Probleme.
In Deutschland, vor allem in Berlin, leben rund 4.000 Mongolen. Das ist eine der größten mongolischen Communitys außerhalb ihrer Heimat. Was macht uns so attraktiv?
Berlins einziger interkontinentaler Direktflug geht nach Ulan-Bator, zweimal die Woche. Das ist schon mal sehr günstig. Insgesamt begann aber alles in den 20er-Jahren zu tun. Damals studierten die ersten Mongolen in Berlin. Fast alle wurden später in der Mongolei bedeutende Wissenschaftler und Literaten. Noch heute lernen die Kinder das in der Schule. Also denken sie, wenn ich in Deutschland studiere, dann werde ich bestimmt was. Nicht wenige Familien schicken ihren Nachwuchs seit Generationen zur Ausbildung nach Deutschland. Unser Kulturattaché, Herr Mandakhbileg, zum Beispiel. Sein Vater graduierte in den 50er-Jahren in Berlin und wurde der beste Germanist und Dolmetscher der Mongolei. Nun geht auch sein Sohn hier zur Schule. Durch die DDR-Politik gegenüber den Bruderstaaten entstanden Freundschaften, man arbeitete zusammen, besuchte sich.
Sie haben selbst ab 1975 in der DDR studiert, erst in Leipzig zwei Jahre lang Deutsch, dann fünf Jahre an der Humboldt-Universität in der Sektion „Nahrungsgüterwirtschaft und Lebensmitteltechnologie“. Sind Sie damals gerne gekommen?
Ich habe mich immer für Deutschland begeistert. Schon in der Schule lernte ich viel über die deutsche Geschichte, die deutsche Kultur, die großen Musiker, Wissenschaftler, Einstein, Literatur und und und. Ostdeutschland galt bei uns als fortschrittlich. Bevor ich in Ostberlin ankam, dachte ich, alles in der DDR ist so licht und glänzend. Mein erster Eindruck war dann aber, dass alle ein bisschen grau aussahen.
War es eine Auszeichnung, in der DDR studieren zu dürfen?
Natürlich. Nur den besten Studenten bezahlte der Staat damals ein Auslandsstudium. Moskau und die DDR, das waren die begehrtesten Orte. Die meisten unserer Politiker studierten in Moskau.
Hat es Sie beschäftigt, dass es da die Mauer und dahinter ein anderes Deutschland gab?
Ich muss zugeben, am Anfang hatte ich andere Sorgen. Eher Grammatik und Vokabeln und nicht die Entwicklung Deutschlands. In Leipzig war ja auch alles toll, Disco, Tierpark. Uns wurden Betriebe gezeigt – und Dresden. Es lastete aber auch ein sehr großer Druck auf uns. Ständig dachte ich, Mensch, du bist einer der Besten deines Landes! Du musst ein Ziel haben! Lernen, lernen, lernen!
Waren Sie auch politisch ein Klassenbester, also in der Mongolischen Revolutionären Volkspartei?
Den damaligen DDR-Studierenden unterstellte man, sie seien möglicherweise nicht linientreu. DDR, Polen, Ungarn und Tschechei galten nämlich als westliche Länder. Ich wurde deswegen kein Parteimitglied.
War das schlecht für die Karriere?
Erst wollte ich in meinem Beruf etwas leisten und dort Erfolge haben. Wer bei uns vor der Wende Karriere machen wollte, musste ja Parteimitglied sein. Ende der 80er-Jahre begann ich mich aber in der Jugendarbeit des Fleischkombinats zu engagieren, in dem ich arbeitete. Aus der DDR hatte ich moderne Musik mitgebracht, ein Stereo-Tonbandgerät, darauf hatte ich gespart. Ich habe damit Discos veranstaltet.
Und so kamen Sie in die Politk?
Weil ich so engagiert in der Jugendarbeit war, erhielt ich die Chance, als Betreuer und Dolmetscher der mongolischen Studenten in der DDR dorthin zurückzukehren. Ich wollte zwar nicht weg von meinem Lebensmittelkombinat, in dem ich seit 1982 arbeitete, aber es bot sich die Gelegenheit, an der HU zu promovieren. Tja, als ich gerade ein Doktorarbeits-Thema gefunden hatte und auf die Genehmigung wartete, da ereigneten sich die großen Umbrüche, in der DDR und auch bei uns.
Wollten Sie nicht sofort nach Hause?
Meine Frau und ich haben damals hin und her überlegt, bleiben wir, wollen wir zurück. Dann aber sind wir in Berlin geblieben und haben beide eine Weiterbildung gemacht. Ich habe eine Fortbildung in Management und Unternehmensführung absolviert, dazu zwei Betriebspraktika. Eines bei Firma Könicke, einem Fleischbetrieb hier in Berlin. Ich habe auch gleich von hier aus ein Unternehmen in der Mongolei gegründet.
Eine Erfolgsgeschichte?
Mit über vierhundert Mitarbeitern sind wir heute eines der bekanntesten Handels- und Lebensmittelunternehmen in der Mongolei. Wir arbeiten mit rund 50 deutschen Firmen zusammen. Die Firma hat aber heute eine eigenständige Geschäftsführung, denn ich bin seit drei Jahren in der Politik.
Dahin kamen Sie erst mit dem fulminanten Wahlsieg der runderneuerten Kommunisten im Jahre 2000.
Bis dahin habe ich die Partei, die böse Zungen früher Russische Volkspartei nannten, immerhin aktiv unterstützt. Nach der Wende hat sich die Partei stark reformiert. Unser Ministerpräsident Enkhbayar zum Beispiel ist ein ganz junger Mann, 40 Jahre alt, eher sozialdemokratisch orientiert. Obwohl ich weiterhin parteilos bin, machte man mich 2000 zum Vizeminister für Landwirtschaft und Ernährung.
… und im Januar sogar zum Botschafter in Berlin. Wie werden Sie die Mongolei hier bewerben?
Mit einer ganz offenen Diplomatie, denn die Mongolei ist ein ganz offenes Land. Viele Westdeutsche dachten ja noch, die Mongolei ist eine sowjetische Republik. Heute wird in den Medien mehr über uns berichtet. Ich möchte das natürlich noch verbessern. Auf der ITB wirbt die Botschaft aktiv für Reisen in die Mongolei. Im Sommer werden wir gemeinsam mit dem Amt Schönefeld, dessen Leiter ein Mongolist ist, ein Fest veranstalten. Es wird Jurten, Kulinarisches und Kultur geben. Im September sind wir bei den Asien-Pazifik-Wochen vertreten. Und in 2004 eröffnen wir mit „Chingghis Khan und seine Erben“ eine große Ausstellung mit Kulturveranstaltungen in Berlin und Bonn. Außerdem gibt es da auch die wirtschaftlichen Beziehungen. Und da wir nicht nur importieren können, möchten wir auch exportieren. Ich möchte zum Beispiel publik machen, dass wir in der Mongolei Bier nach deutschem Reinheitsgebot brauen. Ein hervorragendes Chinggis-Bier oder das leckere Khan-Bräu.
Sie bezeichnen Berlin gerne als Ihre zweite Heimat. Wo ist die denn genau?
Im Norden Berlins, in Bernau. Dort haben wir mit unseren beiden Kindern früher gewohnt, da kenne ich jede Ecke und fühle mich sehr wohl. Und dann natürlich in der Storkower Straße, wo ich als Student wohnte – und in Karlshorst, wo meine Frau Baasankhuu wohnte. Sie ist auch Mongolin, wir haben uns hier in Berlin kennen gelernt. Da war unsere junge frische Liebe, Disco und durchgepaukte Nächte. Es war herrlich.