: Daumenschrauben für den Kunden
Arbeitssuchende überschütten Unternehmen mit Blindbewerbungen: Die Agentur für Arbeit verlangt mehr Initiative von den Joblosen – und verhängt mehr Sperrzeiten. Genutzt hat es wenig, Kosten werden auf die Kommunen abgewälzt
Aus Hannover KAI SCHÖNEBERG
„Sofort verfügbar“, „gern zu einem Schnuppertag bereit“, „jederzeit“ zum Vorstellungstermin zu haben, „flexibel“, „selbständig“ – Bianca Vogelsang hat eigentlich alles, was Bosse an ihren Mitarbeitern schätzen könnten. Nur einen Job, den hat die 40-jährige Kauffrau aus Hannover auch nach zehn Monaten noch nicht.
Nach 21 Jahren ist sie jetzt das erste Mal in ihrem Leben arbeitslos. Und nicht nur das: „Wenn man sagt, ‚ich bin Hausfrau und Mutter‘, fühlt man sich auf einen Schlag degradiert.“ Die Zeit ohne Job ist kein Drama für die Familie – ihr Mann hat noch einen. Aber Frau Vogelsang kann doch „so gut unter Druck arbeiten. Bisschen kreativ, bisschen Dampf – das wär‘s schon.“ Und so machte sie sich ans Bewerben, ans Blindbewerben, und verschickte seit vergangenem Mai so um die 50 zwei Mal gefaltete DIN A 4-Zettel, neudeutsch „Flyer“. Hübsch gemacht, das freundliche Bild auf dem Cover ist ihr Hochzeitsfoto. Drüber steht „Kurzbewerbung als kaufmännische Mitarbeiterin oder vergleichbare Position“. Gestaltung hat Bianca Vogelsang als Assistentin in einem Marktforschungsinstitut in Hamburg gelernt. Acht Jahre war sie dort: Word, Excel oder Powerpoint kann sie jetzt aus dem Effeff.
Und natürlich hat Frau Vogelsang das Arbeitsamt, neudeutsch „Agentur für Arbeit“, dabei geholfen – mit leichtem Druck: Hier muss sie nämlich fünf Bewerbungen pro Monat vorweisen. Sonst drohen Zwangsmaßnahmen. Seit gut einem Jahr verlangt die Behörde von Florian Gerster mehr „Initiative“ von Deutschlands Arbeitslosen. Genutzt hat es wenig: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Arbeitslosen um zehn Prozent gestiegen. In Niedersachsen immerhin nur um fünf Prozent – auf im Durchschnitt 380.000 Menschen ohne Job.
Und so werden Deutschlands Firmen derzeit mit Blindbewerbungen überschüttet: Nicht nur die taz erhält Kurzbewerbungen von „Fahrern“ oder „Lagerarbeitern“ mit leider höchst zweifelhaften Erfolgsaussichten. Auch andere Unternehmen ersticken in einer Flut von Bittbriefen. „Allein in den ersten Wochen des Jahres sind bei uns über hundert Initiativbewerbungen eingegangen“, sagt Ursula Lappe von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Weil die MHH mit 5.400 Stellen einer der größten Arbeitgeber der Stadt ist, flatterten hier im vergangenen Jahr 1.500 solcher Bewerbungen ein. Die Erfolgsquote geht – leider –gegen Null.
Stattdessen wälzt die Agentur für Arbeit Kosten auf die Kommunen ab: Wer keine Stütze mehr bekommt, dürfte nämlich bald den Gang zum Sozialamt erwägen. Die Agentur verfügt inzwischen über ein ausgeklügeltes Instrumentarium für die „Kunden“ (siehe Kasten). Die Zahl der „Sperrzeiten“ hat sich daher im vergangenen Jahr in Niedersachsen auf 17.300 erhöht. 2002 war die Arbeitslosenunterstützung im Land „nur“ 9.500 Mal ausgesetzt worden: plus 82 Prozent. In Bremen ein ähnliches Bild: Hier steigerte sich die Zahl der „Sperrzeiten“ sogar um 88 Prozent auf gut 3.000.
„Die Geschäftspolitik der Agentur hat sich verändert“, sagt Ute Nicolaysen vom Landesarbeitsamt. Die Agentur hat zwar die Zahl der Arbeitsvermittler angehoben, die aber verstärken jetzt den Druck auf die Joblosen. Zur Peitsche gehört auch das Zuckerbrot. So bekommen die „Kunden“ verstärkt Bewerbungstraining verordnet – eine der Ursachen für die Bewerbungslawine. Dass die Agentur mehr fordert, anstatt nur zu fördern, findet Bianca Vogelsang gar nicht schlecht. „Ich kenne genug Leute, die sagen: ‚was soll ich arbeiten, ich bekomme doch Geld vom Amt‘.“ Klar, dass Frau Vogelsang ihr Bewerbungspensum mit links erledigt. Das Feedback sei gar nicht so schlecht. „Sehr ausführliche Absagen“ seien gekommen – außerdem habe sie sich bei einem Radiosender vorgestellt. Wenn Frau Vogelsang länger als nur zwei Tage pro Woche arbeiten könnte, hätte es vielleicht sogar als Sekretärin oder Redaktionsassistentin geklappt. Aber dafür muss ihre zweijährige Tochter erst mal in den Kindergarten. So ist sie in den „externen Stellenpool“ des Hauses aufgenommen worden. Der Sender hat sogar eine Weihnachtskarte geschickt. Nach Monaten der Suche hat Bianca Vogelsang dafür nur noch einen Ausdruck: „Da war ich echt platt.“