Berliner Tafel hat es satt

Ein Zehntel der Ehrenamtlichen hilft nicht mehr mit, klagt die Chefin der Berliner Tafel. Grund: Seit das Sozialticket fehlt, ist ihnen die Fahrt zu teuer

VON MAREN BEKKER

Während Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) jetzt durch Nachverhandlungen mit der BVG in Sachen Sozialticket retten soll, was zu retten ist, zeigt die Abschaffung der billigen Fahrkarte Wirkung – allerdings eine andere, als sich die Sparkommissare in BVG und Senat wünschen: „Ein Teil unserer Ehrenamtlichen ist uns weggebrochen. Denen ist die Fahrt mit Bus und Bahn einfach zu teuer“, stellt Sabine Werdt von der Berliner Tafel e. V. fest – gerade mal drei Wochen nach der Ticket-Einstellung am 1. Januar. „Sozialhilfeempfänger werden zu Tippelbrüdern gemacht, wenn sich von A nach B bewegen wollen.“

Gut ein Zehntel ihrer 150 aktiven Mitarbeiter haben ihren ehrenamtlichen Dienst bei der Tafel quittiert. Das sei zwar nicht das Ende und würde am Umfang der Tafel-Arbeit nichts ändern, so Werdt, „aber wir müssen jetzt improvisieren und pausenlos Lücken füllen“. Die Berliner Tafel e. V. sei immer stolz darauf gewesen, dass auch viele Sozialhilfeempfänger beim Verteilen des Essens mithelfen. Werdts Fazit: „Das Vorurteil, das Ehrenamt sei nur etwas für Wohlsituierte, wird jetzt bestätigt.“

Andere wohltätige Einrichtungen in Berlin kennen Mobilitätsprobleme eher von ihrer Klientel denn von ihren Mitarbeitern. Das liegt daran, dass fast alle großen Organisationen ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern anfallende Fahrtkosten ersetzen. „Niemand sollte noch Geld bezahlen müssen um ehrenamtlich arbeiten zu können“, sagt etwa Bernhard Schulz, Geschäftsführer der Stiftung Bürger für Bürger. Er sieht die Organisationen in der Pflicht, ihren Mitarbeitern die Fahrkarten zu finanzieren.

Tafel-Chefin Werdt gibt die Verantwortung weiter: „Der Senat soll ehrenamtliche Arbeit endlich anerkennen.“ Die Bezahlung der Fahrtkosten sei hierzu ein erster Schritt. Wenn nun wegen der Streichung des Sozialtickets die Tafel selber zahlen würde, dann „würden wir uns selbst konterkarieren“, so Werdt „und den Staat aus seiner Pflicht lassen“.

Staatliches Pflichtbewusstsein zeigt indes die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg. Sie beschloss gestern mit parteiübergreifender Mehrheit, Sozialhilfeempfängern die Differenz zwischen dem weggefallenen Sozialticket (20,40 Euro) und der Umweltkarte (58,50 Euro) zu erstatten. Wie Wilfried Nüthel, Sozialstadtrat der CDU, erläuterte, werde dies bereits seit Anfang Januar in vielen Bezirken praktiziert: „Wenn sich jemand um Arbeit bemüht oder aus gesundheitlichen Gründen mobil sein muss, dann sind wir verpflichtet, ihm das zu ermöglichen.“

Entlastung könnte jetzt noch die Mission von Wirtschaftssenator Wolf bringen: Er soll mit der BVG über einen Kompromiss diskutieren, einen Vorschlag von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, ebenfalls PDS. Sie fordert von den Verkehrsbetrieben ein 39 Euro teures Monatsticket für sozial Schwache – jeder, der aus sozialen Gründen von den Rundfunkgebühren befreit ist, käme in den Genuss eines solchen. Ein Vorgehen, das der verkehrspolitische Sprecher der Berliner CDU, Alexander Kaczmarek, für „dreist“ hält. „Die Forderung nach einer Wiedereinführung des Sozialtickets ohne zusätzliche Zuschüsse des Landes ist in Anbetracht der katastrophalen wirtschaftlichen Lage der BVG völlig absurd.“