„Da bin ich optimistisch“

Der Medienkritiker Professor Joshua Meyrowitz sieht in der akuten „Glaubwürdigkeitskrise“ der US-Medien auch eine Chance: „Entweder sie ändern sich, oder die Menschen kehren ihnen den Rücken“

Interview MICHAEL STRECK

taz: Herr Meyrowitz, die US-Medien konzentrieren sich auf die Kriegsvorbereitungen und berichten, als ob die Invasion im Irak beschlossene Sache sei. Wo ist der oft gepriesene kritische, investigative und unabhängige amerikanische Journalismus?

Joshua Meyrowitz: Der ist so gut wie verschwunden. Wir sind an dem Punkt, wo jeder, der wirklich bohrende Fragen stellt, Gefahr läuft, als antiamerikanisch gebrandmarkt zu werden. Zudem kontrolliert nur noch eine Hand voll Unternehmen den Medienmarkt. Hauptziel ist Gewinnmaximierung. Leider verträgt sich dieses Ziel schlecht mit der Aufgabe, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren. Die zunehmende Verschlankung von Redaktionen und Korrespondentenbüros führt dazu, dass sich Journalisten immer stärker auf offizielle Quellen wie Pentagon, Weißes Haus und Außenministerium verlassen. Jeder Journalist, der tiefer recherchiert, stößt auf Dokumente, die belegen, dass der Krieg gegen den Irak nichts mit dem 11. September zu tun hat, vielmehr mit dem Ausbau der Vormachtstellung Amerikas. Wer dies sagt, wird aber als parteiischer, nicht neutraler und objektiver Reporter abgestempelt, womöglich als Linker. Die Werte, die Amerika ausmachen – wie Redefreiheit und freier Diskurs – werden nun ironischerweise als antiamerikanisch verurteilt.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen Print- und elektronischen Medien? Immerhin finden sich in renommierten Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post durchaus kritische Stimmen?

Auf das gesamte Medienangebot bezogen, sind dies Einzelstimmen. Die Hauptversorgung der US-Öffentlichkeit mit Nachrichten läuft über das Fernsehen, das lieber über spektakuläre Kriminalfälle berichtet und die Regierung nicht ernsthaft unter die Lupe nimmt. Immer mehr Amerikaner misstrauen jedoch der eigenen Presse. Sie informieren sich bei ausländischen Medien im Internet, vor allem bei britischen Zeitungen. Diese registrieren eine Zunahme von Lesern aus den USA um 60 Prozent!

Die Berichte in den US-Medien über die Massenproteste Mitte Februar gegen den Krieg konzentrierten sich vornehmlich auf das Ausland und vergleichsweise wenig auf die heimischen Straßen.

Ich war geschockt darüber. Und wenn dann doch berichtet wurde, ging es darum, welche Auswirkungen die Demonstrationen auf die Politik haben würden. Es gab keine Debatte, warum so viele Leute protestieren.

US-Medien sind jedoch weder unfähig noch unwillig, die plurale Gesellschaft abzubilden. Komplexe politische Zusammenhänge, die eine Kriegssituation auszeichnen, werden jedoch ausgeblendet.

Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen der Berichterstattung über die Privatsphäre und politische oder militärische Aspekte. Kürzlich sagte Außenminister Colin Powell einer CNN-Reporterin, Amerika habe jedes Land, in dem es in den letzten hundert Jahren intervenierte, besser hinterlassen, als man es vorgefunden habe. Sie hat keine kritische Nachfrage gestellt, was denn mit Iran 1953, Guatemala 1954, Irak 1964, Chile, Kambodscha und Vietnam gewesen sei. Solche Fragen sind tabu. Man kann ausführlich über pädophile Priester berichten, über Michael Jackson und Sex mit kleinen Jungen, aber nicht über die Rolle der US-Außenpolitik.

Woher kommt das?

Amerikaner werden nicht dazu erzogen, ihr Land kritisch zu betrachten. Wir sind die größte und beste Nation. Wenn ich meine Studenten frage, wie viele von ihnen dazu erzogen wurden, kritisch zu sein, heben alle ihre Hände. Wenn ich frage, wie vielen gelehrt wurde, dass die USA das beste Land der Welt sind, heben auch alle ihre Arme. Es ist wie ein Glaubensbekenntnis. Nur wenige Leute reflektieren die Widersprüche. Neulich wurde im Fernsehen über eine Studentin berichtet, die bei einer Sportveranstaltung beim Treueschwur auf die Nation der US-Fahne aus Protest gegen einen Irakkrieg den Rücken kehrte. Daraufhin sollte sie aus der Mannschaft geworfen werden, da sie keinen Respekt der Fahne gegenüber zeige, die ihr die Freiheit erst geschenkt habe. Das heißt, sie hat nicht die Freiheit, sich so zu verhalten. Das ist absurd.

Gibt es Selbstzensur?

Ja. Es ist vergleichbar mit der Situation im Elternhaus, wo man am Essenstisch in Anwesenheit von Gästen Vater und Mutter nicht kritisieren darf.

Kritische Töne finden sich zunehmend im Internet, und unabhängige Online-Publikationen erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Was bedeutet dieser Trend für die US-Medienlandschaft und -Gesellschaft insgesamt?

Es gibt einen Riss in der Gesellschaft. Die Mehrheit verlässt sich nach wie vor auf Fernsehberichte, in denen die massive Einschränkung der Bürgerrechte, die neue Sicherheitsdoktrin des Präventivschlages und die Kriegsziele im Irak kaum hinterfragt werden. Doch immer mehr Leute verlassen sich nicht darauf, was ihnen das Fernsehen vorsetzt. Sie gehen online und suchen alternative Informationsquellen. Die Glaubwürdigkeit der traditionellen Medien steht auf dem Spiel. Entweder sie ändern sich, oder die Menschen kehren ihnen den Rücken. Für mich ist das eine Revolution wie die Erfindung des Buchdrucks in Europa, die das Informationsmonopol von Kirche und Krone brach. Daher bin ich optimistisch. Früher, zur Zeit des Vietnamkrieges, dauerte es viel länger, bis die Öffentlichkeit die Lügen der Regierung entlarvte. Heute sind viel mehr Amerikaner sensibilisiert, obwohl der Krieg noch gar nicht begonnen hat.