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Archiv-Artikel

Gute Fächer, schlechte Fächer

Wer von Eliteunis in Berlin redet, meint meist die Humboldt-Universität – zum Beispiel Bundeskanzler Schröder. Die Technische Universität bleibt in der Debatte außen vor. Doch auch TU-Präsident Kutzler will seine Uni fit machen: Er zwangselitisiert die Architekten und fördert die Mathematiker

VON BERNHARD HÜBNER

Die Eliteuni ist eine Bruchbude. Ein zusammengenagelter Bretterverschlag, darin eine verbeulte Mülltonne. „Die Globale Architektur der Zukunft“, haben die Studenten darauf geschrieben, die die Hütte vor dem Institut gebaut haben. Wenige Schritte entfernt verfallen die „Afrikawissenschaften“. Im Wind flattern die Reste der „Germanistik“. Überbleibsel des Studentenprotests, die man als Vorzeichen deuten kann: Nischenfächer haben es schwer, wenn sich eine Uni neu positioniert. Berlin sucht seine Eliteuni, und TU-Präsident Kurt Kutzler möchte nicht nachstehen. Er macht seinen Betrieb fit für den Wettbewerb.

Eigentlich mag Kurt Kutzler, 62, die Debatte um die Eliteuniversität gar nicht. „Ich möchte mich an dem verbalen Wettstreit nicht beteiligen“, sagt er. Dabei geht es um viel Geld. Bundeskanzler Gerhard Schröder will einige deutsche Unis, darunter auch die HU, mit einer dreistelligen Millionensumme zu Superunis hochpäppeln. Die FU möchte auch etwas abhaben. Nur Kutzler will anders zum Ziel kommen. „Ich bin der Meinung, dass man Eliteunis nicht planen kann“, predigt er. Er glaubt an den Markt. Besonders gerne sagt er: „Spitzenfakultäten entstehen durch Wettbewerb.“

Tatjana Stykel, 30, ist von der Spitzenfakultät. Sie hat blonde Haare, trägt eine ovale Brille und lächelt freundlich und ausdauernd. Die Mathematikerin wurde in Kasachstan geboren und hat an der TU ihren Doktortitel erworben. Vor wenigen Tagen hat sie den Berliner Preis für Nachwuchswissenschaftlerinnen gewonnen, für ihre Arbeit über numerische Lösungen der allgemeinen Lyapunov-Gleichungen.

Wenn man Kurt Kutzler nach den Stärken der TU fragt, nennt er als Erstes das DFG-Forschungszentrum „Mathematik für Schlüsseltechnologien“ – das Institut, an dem Tatjana Stykel arbeitet. „Zum ersten Mal sehe ich, für was meine Forschung gut ist“, sagt Stykel begeistert über ihren Arbeitsplatz. Auf ihrem hellen neuen Schreibtisch steht ein Flachbildschirm. Von ihrem großen Fenster blickt sie über den Campus. Ein edles Büro für Univerhältnisse. Am Institut arbeiten Mathematiker mit Physikern zusammen, mit Ingenieuren oder Biologen. Die Mathematik soll reale Probleme lösen.

Mathematik ist die Elite an der TU – das Aushängeschild. „Wenn ich im Ausland gesagt habe, dass ich aus Berlin komme, hat mich jeder gefragt: ‚Von der TU?‘ “, erinnert sich Stykel. Sie mag den Gedankenaustausch mit den Kollegen in Berlin und findet, dass hier „etwas Interessantes“ passiert. Für sie arbeitet es sich gut an der TU.

„Ich kann mir nicht vorstellen, was jetzt noch wegfallen soll“, regt sich Aljoscha Hofmann, 23, auf. Er ist Architekturstudent im fünften Semester. Er schiebt gerade im Studentencafé der Architekten eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Für ihn arbeitet es sich immer schlechter. Die TU muss Geld kürzen. Über 32 Millionen Euro bis 2009, wenn es nach dem Senat geht. Am Mittwoch will TU-Präsident Kutzler einen Strukturplan vorlegen. Auch wenn er die Uni nicht um volle 32 Millionen billiger machen will, soll sich die TU nach seinem Plan in Zukunft auf ihre Kernbereiche konzentrieren: klassische Natur- und Ingenieurswissenschaften sowie ein paar erlesene Geisteswissenschaften. „Neupositionierung der Universität unter eingeschränkten finanziellen Gegebenheiten“ nennt das der Präsident. Damit einige Institute zur Elite gehören, müssen andere bluten. Wen es genau trifft, weiß noch niemand. Die Architekten gelten aber als sicherer Kandidat für das große Sparen.

„Das Argument ist einfach“, erklärt Ulrike Engel, 24, die Lage. „Die sagen, dass es schon zu viele Architekten gibt. Die würden dann alle keinen Job finden.“ Engel ist Mitglied im Zentralen Aktionskomitee ZAK, der Studentenvertretung der Architekten. Einmal hieß es, das Institut soll ganz geschlossen werden. Jetzt werde es wohl darauf hinauslaufen, dass deutlich weniger Studenten neu zum Studium zugelassen werden. Auch eine Art von Elitebildung. Das Problem: Je weniger Studenten im ersten Semester, umso weniger Stellen für Professoren werden erhalten. Die vielen Studenten, die schon jetzt in den höheren Semstern sind, so fürchten sie, müssten dann mit eindeutig weniger Dozenten auskommen.

Aljoscha Hofmann mag die Elitediskussion nicht. Er trägt Pferdeschwanz und sieht ein wenig aus wie der junge John Lennon. „Eliteunis bekämpfen das Problem nicht“, ist er sich sicher. „Sie wären nur ein Blickfang, um den Schmutz am Boden zu verdecken.“ Zum Schmutz am Boden können Ulrike Engel und Aljoscha Hofmann viel erzählen: Wie sich schon jetzt über hundert Studenten um 25 Plätze in einem Seminar streiten. Wie wenig die Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen klappt und jeder für sich arbeitet. Und dass sie für jede Note mit Handzetteln von Büro zu Büro laufen müssen, weil das Prüfungsamt nicht mit Computern arbeitet. „Was das angeht, ist unsere Universität ein echter Dinosaurier“, sagt Engel.

Wie paradiesisch erscheint im Vergleich das Mathe-Institut von Tatjana Stykel zwei Häuser weiter. Doch selbst die Nachwuchs-Forscherin ist nicht mit allem glücklich. „Hier gibt es viel zu viele Studenten“, klagt Stykel und blickt aus ihrem großen Fenster auf die Unigebäude, an denen hier und da einzelne Streikplakate hängen. „Für die Forschung bleibt da einfach zu wenig Zeit.“