: Wo der Wärter „Meister“ heißt
Mit Hungerstreik und Selbstmordversuchen weisen die Abschiebehäftlinge in Köpenick seit Wochen auf ihre Lage hin. Der Fall Gerald C. zeigt, dass Haftbedingungen nicht nur menschlich fragwürdig, sondern teilweise sogar gesetzeswidrig sind
von RAINER BRUNS und HENNING GLOYSTEIN
Und dann ist da noch der Aufzug. „Den dürfen nur Deutsche benutzen. Selbst ein Insasse mit einer Fußverletzung musste in den vierten Stock die Treppe nehmen“, berichtet Gerald C. (*) von seiner Haftzeit in Köpenick. Der Mann aus Guinea hat sie hinter sich. Insgesamt neun Monate saß er im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Wie viele andere auch begriff er nicht, warum er dort war, ohne eine Straftat begangen zu haben.
Gerald kam im Frühjahr 2002 mit einem Containerschiff nach Hamburg, von dort schlug er sich nach Berlin durch. Weil der 19-Jährige kein Deutsch sprach und auch keinen Pass hatte, wurde er als illegaler Einwanderer nach Köpenick gebracht. Der Polizei gelang es angeblich nicht, einen Dolmetscher aufzutreiben, der Geralds Asylgesuch vermitteln konnte. An die Zeit im Gefängnis hat Gerald lebhafte Erinnerungen. Ein Beispiel: „Wir mussten die Wärter mit ‚Meister‘ ansprechen.“
Christine Schmitz von der „Initiative gegen Abschiebehaft“ bestätigt das: „Wenn die Wärter nicht mit ‚Meister‘ angesprochen werden, wird nicht reagiert.“ Es wundert sie nicht, dass es in der Anstalt immer wieder zu Hungerstreiks und Selbstmordversuchen kommt. Der Hofgang ist auf täglich eine Stunde begrenzt, Besuche sind streng reglementiert und finden in durch Panzerglas getrennten Kabinen statt. Die medizinische Versorgung wird immer wieder schwer kritisiert.
Im Februar eskalierte die Situation. Über 75 Inhaftierte beteiligten sich an Hungerstreiks, schon um die 20 Gefangene verletzten sich selbst oder unternahmen Suizidversuche. Zuletzt hat Anfang dieser Woche ein 26-jähriger Jugoslawe versucht, sich umzubringen.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat inzwischen Haftverbesserungen versprochen. Der Hofgang wird von 60 auf 90 Minuten aufgestockt. Die Glasscheiben sollen in einigen Besucherkabinen entfernt werden, und es wird versucht, zumindest für Langzeithäftlinge Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Außerdem sollen mehr Spiele und Tischtennisplatten angeschafft werden. Christine Schmitz ist skeptisch: „Wer sich umbringen will, dem helfen 30 Minuten mehr Hofgang auch nichts.“
Neben menschlichen gibt es auch rechtliche Bedenken gegen die Handhabung der Abschiebehaft in Berlin. Nicht nur bei der Polizei, auch bei Geralds erster richterlicher Anhörung war kein Übersetzer anwesend. „Ich habe überhaupt nicht verstanden, was die von mir wollten, und sagte immer: Je veux asyl, je veux asyl“, erzählt Gerald C. Der Richter behauptete später, von einer Bitte um Asyl nichts gehört zu haben. Gerald musste in Abschiebehaft bleiben.
„Jeder Gefangene hat das Recht auf einen Dolmetscher, und es ist in Berlin kein Problem, für fast jede Sprache der Welt innerhalb von wenigen Stunden einen Übersetzer zu finden“, meint Ronald Reimann vom Republikanischen Anwaltsverein. Aber bei mehreren Fällen täglich „haben viele Richter da keine Lust zu“, erklärt sich der Anwalt den Missstand. Deshalb musste Gerald seinen Asylantrag aus der Haft heraus stellen. Reimann interpretiert das als einen Fall von gesetzeswidriger Beugehaft, vor der Antragsstellung dürfe niemand inhaftiert werden. „Über diese gesetzliche Verpflichtung setzen sich die Behörden immer wieder hinweg“, beklagt der Anwalt. Erst nach über sieben Monaten wurde Geralds Asylantrag bearbeitet.
Auch anwaltlichen Beistand erhielt er in der Haft nicht, wie 90 Prozent seiner Mithäftlinge, so Reimann. Das Recht auf einen Pflichtverteidiger, das jedem Häftling in U-Haft zugesichert wird, gilt für Abschiebehäftlinge nicht. Im Gegensatz zu Hamburg. Hier entschied das Landgericht, dass den Inhaftierten nach drei Monaten ein kostenloser Anwalt zu stellen ist. Reimann hält die Berliner Praxis sogar für eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Danach muss jeder, der unter besonderen Umständen in Haft gelangt, einen Pflichtverteidiger bekommen. In Berlin aber wird argumentiert, dass die Konvention nur für Straftäter gelte.
Reimann prangert darüber hinaus noch einen Missstand an. Dem Gesetz nach sind Jugendliche unter 16 Jahren zu jung, um überhaupt in Abschiebehaft kommen zu dürfen. Dennoch seien schon 15-Jährige inhaftiert gewesen, so Reimann, weil sie ohne Papiere waren und die Richter sie älter geschätzt hatten. Er fordert als Konsequenz, dass Asylbewerber nur als „Ultima Ratio für maximal drei Monate in Gewahrsam gehören und die Abschiebehaft aufgrund ihrer Verhältnismäßigkeit generell überprüft werden muss“.
(*) Name von der Redaktion geändert