Verlängertes Kinderzimmer

In Hamburg hat sich eine audiophile Szene etabliert: Freundinnen und Freunde von Hörspielen und Features laden hier zu gemeinschaftlichen Abenden, um dem Soundtrack der Jugend zu lauschen

von USCHI BEHRENDT

Klirren und Knirschen. Metallgerassel. Vibrierendes Brummen. Dann Hammerschläge. Zwei Frauen sitzen auf dem Plüschsofa und lauschen den seltsamen Lautkompositionen. Ein Mann im abgewetzten Polstersessel blickt versunken auf das Lebkuchenherz an der Wand mit der Zuckergussaufschrift „Konsum macht glücklich“.

Auch die anderen Gäste an der Bar des „Konsum“ lassen die Klangmusik auf sich wirken. Neben der Sonnenbank, die mit ihren roten Leuchtröhren als Lampe dient, hat sich eine Frau mit ihrem Bier verkrochen. Unter dem Motto „Maschinenmusik“ laufen drei experimentelle Hörstücke im „Konsum“ im Hamburger Schanzenviertel. „Ich fand das erste Stück, ‚Schrauben, die Welt zusammenhalten‘, spannend, weil es so leise und sehr fragil war. Das zweite, ‚Untertagemusik‘, war aber ziemlich brachial. Dieser Bergbaulärm und Industriesound ist nicht so mein Fall.“

Martin Renkel kommt seit der Gründung des „Konsum“ im November 2002 regelmäßig hierher. Der 34-Jährige hört Hörspiele auch zu Hause im Radio, aber hier findet er das Zuhören viel geselliger, weil man sich danach auch mal mit jemanden darüber unterhalten kann. Hinter dem Tresen steht Gründer Armin Grambart-Mertens: „Ich hatte den Wunsch, als Kneipenbetreiber nicht nur Flaschen aufzumachen, sondern mich auch mit Kultur zu beschäftigen.“

Jeden Abend ab 19 Uhr spielt er live aus dem Radio oder auf Kassette Hörspiele ab. Featurefreunde können jeden Mittwoch live dem Feature aus dem Deutschlandradio lauschen. Und jeden Sonntag ist Wunschhörspielabend. Die Gäste können dann über eine Auswahl von Hörspielen diskutieren und abstimmen, welches gespielt werden soll. Auch Eigenproduktionen sind willkommen.

Die „Babarabar“ im Stadtteil St. Pauli: Die dumpfen Stimmen von Justus, Peter und Bob aus der Anlage sind kaum zu hören. Zwei Mädchen mit Rastazöpfen spielen am Kicker ehrgeizig gegen ihre beiden männlichen Gegner. Auch die restlichen rund dreißig Gäste an der Bar und in den Polstersesseln lauschen nicht unbedingt konzentriert und aufmerksam den „Drei ???“.

Die meisten Besucher können die Texte sowieso auswendig mitsprechen. So wie Alexandra König. Sie sammelt die „Drei ???“, seitdem sie acht Jahre alt ist. Mit ihrem Ringel-T-Shirt, Jeans, Turnschuhen und Pferdeschwanz sieht sie immer noch aus wie ein achtjähriges Mädchen aus den 70er-Jahren, ist aber inzwischen 28 und Erzieherin und versüßt sich ihren Alltag mit den drei Helden von der Kassette: „Zu Hause höre ich sie täglich, zum Kochen, Abwaschen und Einschlafen. Aber hier hat sich eine eigene Fangemeinde gebildet.“

Die 25-jährige Julia Paul kuschelt sich ins Sofa und knabbert an einer Traubenzuckerkette: „Ich finde es supergemütlich hier. Es ist wie ein großes Wohnzimmer mit Leuten in unserem Alter. Toll sind auch die Ahoi-Brause-Tüten und diese Ketten zum Knabbern.“

Die Süßigkeiten sind ebenso kostenlos wie der Kuchen, der auf dem Tresen steht. „Wenn die Kassetten laufen, fühlen sich die Leute wie zu Hause und ziehen manchmal auch ihre Schuhe aus“, erzählt Barbesitzer Edie Page. Jeden Dienstag gibt es zwei Folgen der „Drei ???“, dazwischen den originalen Soundtrack. In Zukunft will Edie Page zu späterer Stunde auch noch andere Kinderkassetten aus den 70ern auflegen wie „Hui Buh – das Schlossgespenst“.

Maritimes für die Ohren gibt es im Stadtteilkulturzentrum Goldbekhaus: tuckernde Kutter und Meeresrauschen, brüllende Fischer und alte Heringslieder. Gespannt lauschen die Hörer einem Herings-Feature der Fischereibiologin und Radiojournalistin Astrid Matthiae. Die ist auch eingeladen zu „Sibylles Hörbar“ und sitzt in ihrer Fischerlatzhose am Tisch. Und der ist reich gedeckt mit Heringssalat, Rollmöpsen, Brot, Butter und salzigen Heringen. Von der Decke flattern Fische aus Silberpapier, an den Wänden hängen historische Fotos vom Fischfang. „Ich achte darauf, dass sich die Raumgestaltung und der Imbiss passend zum Thema einrichten lassen“, so Featureautorin Sibylle Hoffmann.

Mit „Sibylles Hörbar“ möchte sie die Freude am gemeinsamen Hören wach halten beziehungsweise neu beleben. Und den heutigen Radioformaten zum Nebenbeihören Formen des konzentrierten, gemeinschaftlichen Hörens etwas entgegensetzen. „Hören“, sagt sie, „geht schließlich durch Mark und Bein.“

„Konsum“, Stresemannstr. 13, 22769 Hamburg, täglich Hörspiele ab 19 Uhr, Sonntag ab 18.30 Uhr, Montag Ruhetag, monatliches Hörspielprogramm als Newsletter über playlist@konsummachtglücklich.info„Barbarabar“, Hamburger „Fragezeichen“ und Soundtrack jeden Dienstag ab 20 Uhr „Sibylles Hörbar“, unregelmäßig, bisher im Stadtteilkulturzentrum Goldbekhaus, Moorfurthweg 9, 22301 Hamburg, findet in Zukunft in wechselnden Privaträumen statt, Infos über lokale Tagespresse