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Archiv-Artikel

Liebe deine Spiegeleffekte!

Zwei Drehbuchschulen schlagen, ach, in seiner Brust: Der Film „Adaption“ von Spike Jonze und Charlie Kaufman

In sumpfigen Wäldern erscheinen alle Dinge doppelt. Die Wasseroberfläche spiegelt die Vegetation, und die enthält in ihrem maßlosen Reichtum alle Formen, die auf der Welt vorkommen. Die Lianen, Rinden, Blätter, Äste und Blüten des Urwalds verweisen, so hat es der kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier einmal notiert, immer auf etwas anderes. Das bedeutet, dass der Urwald ein Grundprinzip von Darstellung in sich trägt. Eine Form steht für etwas anderes und erreicht doch nie, dieses andere zu sein. Ein Vexierspiel von Annäherung und Verfehlung.

Die Wälder, die Carpentier im Sinn hatte, lagen in Venezuela. Es gibt ähnliche Wälder in Florida: im Sumpfgebiet der Everglades. Ein Labyrinth aus Flüssen, Moor, Wald und Savanne, undurchdringlich und unerschlossen. Wie in allen Labyrinthen wartet hier entweder ein Schatz oder Minotaurus. Der Schatz ist in diesem Fall eine besonders seltene Orchidee, die „Ghost Orchid“, der Minotaurus ein Alligator. Und das Labyrinth ist der Film, den man sieht: „Adaption“ von Spike Jonze. Jonze und der Drehbuchautor Charlie Kaufman, deren Zusammenarbeit schon „Being John Malkovich“ zu einem großen Vergnügen machte, haben wenig Interesse an einem geradlinigen Plot. Jedenfalls zunächst nicht. Stattdessen wickelt sich „Adaption“ in den ersten zwei Dritteln so sehr in sich selbst ein, dass die Selbstreflexivität nicht viel übrig lässt von Handlung und Figuren. Spuren einer Geschichte lassen sich verfolgen, aber vor allem drängen Jonze und Kaufman in Sackgassen und tote Winkel und haben dabei viel Spaß.

Es geht um einen Drehbuchautor, der an Schreibhemmungen leidet. Dass er Charlie Kaufman heißt, ist der erste und wesentliche Spiegeleffekt in „Adaption“. Kaufman steht vor einer schwierigen Aufgabe: Er soll ein Buch der New Yorker Journalistin Susan Orlean fürs Kino adaptieren, „The Orchid Thief“, eine Reportage über den Orchideenzüchter John Laroche. Sowohl Orlean als auch Laroche sind – wie Kaufman – Personen, die jenseits des Kinos existieren. Verkörpert werden sie von Meryl Streep respektive Chris Cooper. Doch was „Adaption“ zeigt, ist weniger deren Geschichte als das, was Kaufman schreibt, Skizzen und Einfälle, die aufleuchten und im nächsten Augenblick verglüht sind. Vor allem rückt der Autor selbst bei seinen glücklosen Schreibversuchen ins Bild. Er martert sich: Was ist die Geschichte? Was könnte sie sein? Warum diese Krise? Warum bin ich, Charlie Kaufman, so dick? Warum habe ich keine Freundin? Und warum bin ich überhaupt auf der Welt?

„Adaption“ antwortet mit einer Abschweifung. Der Urknall, die Entstehung der Erde, die Evolution und Charlie Kaufmans Geburt werden zu einem Clip montiert. Der Protagonist mag an sich selbst verzweifeln. Doch im selben Atemzug ist er größenwahnsinnig genug, um seine Geburt als das Telos der Erdentstehung zu behaupten.

Einen Höhe- und vorläufigen Endpunkt erreicht „Adaption“, wenn Kaufman in sein Aufnahmegerät brüllt: „Der Autor brüllt in sein Aufnahmegerät.“ Wer Filme kennt, in denen sich die Figuren im Wald verirrt haben, weiß, welche Szene das ist. Nachdem sie unwissentlich im Kreis gegangen sind, bemerken die Figuren entsetzt: Genau dort kommen sie an, von wo aus sie aufgebrochen sind.

Doch Jonze und Kaufman bahnen sich ihren Weg durch das Labyrinth „Adaption“. Sie winden den Film aus der selbstreflexiven Spirale heraus, indem sie der Figur Charlie Kaufmans einen Zwillingsbruder zur Seite stellen. Eine fiktive Figur, die es nichtsdestotrotz in die Credits des Films schafft (schließlich liebt „Adaption“ Spiegeleffekte). Diese Figur heißt Donald Kaufman und ist das Gegenteil von Charlie Kaufman. Oder auch: ein spiegelverkehrtes Alter Ego.Wenn Charlie schüchtern und befangen ist, gibt sich Donald gewinnend. Wenn Charlie Schweiß auf die Stirn tritt, sobald er einer Frau begegnet, weiß Donald, wie man schmeichelt und verführt. Und wenn Charlie angesichts des Buches von Orlean in der Schaffenskrise steckt, hält sich Donald, der angehende Drehbuchautor, an die Ratschläge der Script-Doktoren und Schreibseminare, in erster Linie an die des Drehbuchberaters Robert McKee. Figuren- und Plotentwicklung, Exposition, Krise, Klimax, Auflösung: Bei Donald ist es so, wie es im Lehrbuch steht. Vielleicht ein bisschen trashiger.

Nicolas Cage gibt die Zwillinge, ohne dass er an seinem Äußeren etwas änderte. Dennoch bleibt in keiner Minute des Filmes offen, mit welchem der Brüder man es zu tun hat. Besonders schön gerät das immer dann, wenn beide in einer Einstellung agieren. Mit Charlie und Donald treten zwei unterschiedliche Prinzipien des Drehbuchschreibens an: das der persönlichen Autorschaft gegen das der handwerklich soliden, Genregesetzen verpflichteten Produktion. Wo der eine Bruder und damit der Film nicht weiter wissen, lassen Jonze und Kaufman den anderen Bruder übernehmen.

„Im Grunde haben wir seit Anbeginn der Menschheit immer wieder dieselbe Geschichte erzählt“, liest man bei McKee, dem Drehbuchberater, den Donald für sich ins Feld führt. „Diese Geschichte lässt sich die Suche nennen.“ Es liegt der größte Aberwitz von „Adaption“ vermutlich darin, dass das Labyrinthische der ersten beiden Filmdrittel dieser Suche den perfekten Hintergrund bietet. CRISTINA NORD

„Adaption“. Regie: Spike Jonze. Mit Nicolas Cage, Meryl Streep, Chris Cooper u. a. USA 2002, 114 Min.