: Hoffnung für den Tourismus: Die Chinesen kommen
Prima Ruf in Peking
Ein Mittwoch neulich, in Berlin. Drei Busse halten direkt vor „China City“ in der Leipziger Straße und entlassen einen nicht abreißen wollenden Strom von Chinesen in das Restaurant. Sie sind die ersten 130 chinesischen Privattouristen in Deutschland. Auf ihrer vom Hamburger Reiseveranstalter Caissa organisierten achttägigen Busreise haben sie vor Berlin die Städte Frankfurt, München und Dresden gesehen, am nächsten Tag geht es weiter nach Hamburg, dann nach Köln und zurück zum Flughafen in Frankfurt.
Schon zuvor gab es chinesische Reisende in Deutschland, doch das waren Geschäftsreisende mit Sondergenehmigungen. Seit dem 15. Februar genießt Deutschland vor den chinesischen Behörden neben weltweit nur 20 weiteren Staaten den „Approved-Destination-Status“ (ADS). Privat dürfen Chinesen ausschließlich diese Länder besuchen.
Erstaunlich leise für eine so große Gruppe nehmen die Pioniere das China-Restaurant ein, und man könnte meinen, dass nur solche Länder ein ADS-Abkommen mit China schließen dürfen, die auch flächendeckend mit chinesischer Gastronomie aufwarten können: „Die Gäste bekommen Fisch, Gemüse, Fleisch, aber alles richtig chinesisch zubereitet, nicht in der Variante für Europäer“, erklärt Reiseleiter Zhi Yuan, 38. Während ihrer Reise werden die Touristen hauptsächlich mit ihren gewohnten Speisen versorgt. Nur wenige Gastwirte mit deutscher Speisekarte dürfen darauf hoffen, vom chinesischen Ansturm zu profitieren: „Gestern in Dresden“, erzählt Herr Zhi, „waren wir auch einmal deutsch essen: Schnitzel, Pommes, Salat.“
Für die seit dem 11. September eingebrochene deutsche Touristikbranche kommen die Chinesen gerade rechtzeitig, sagt einer der drei Busfahrer, Toni Babic, 54: „Die Amerikaner trauen sich nicht mehr zu reisen, die Europäer auch nicht, aber die Chinesen haben überhaupt keine Angst.“ Und sie kommen in großer Zahl. Allein Caissa wird in seinen bis Ende des Jahres komplett ausgebuchten Rundreisen etwa 20.000 Gäste touren.
Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) schätzt, dass in Zukunft rund 100 Millionen Chinesen jährlich ins Ausland reisen werden. Pro Urlaubstag geben sie im Durchschnitt etwa 240 Euro aus. Wenn nur eine Million von ihnen nach Deutschland käme und jeweils einen Tag in Berlin verbrächte, dann würden allein auf dem Ku’damm jährlich 240 Millionen Euro fließen. Deshalb versuchen die Deutschen mit Maßnahmen wie dem ADS-Abkommen, mit attraktiven Touren und, man munkelt, mit chinesischen Wegweisern in den Stadtzentren so viele dieser 100 Millionen Chinesen wie möglich in ihr Land umzuleiten.
Die Chancen stehen nicht schlecht: „Deutschland hat in China einen prima Ruf als schönes und reiches Land, jeder will da hin“, meint Herr Zhi. „Das liegt vor allem an den Qualitätsprodukten. Dass das Land inzwischen gar nicht mehr so reich ist“, fügt er hinzu und grinst, „das wissen die Chinesen noch gar nicht.“
Während bei uns Pauschalbusreisen eher eine Angelegenheit älterer Zeitgenossen sind, besteht die chinesische Gruppe mindestens zur Hälfte aus Frauen und Männern unter 35. „Früher“, erzählt Herr Babic, „waren sie in ihren Geschäftsreisegruppen alle gleich angezogen: schwarzer Anzug, weißes Hemd. Aber die hier“, er zeigt auf Mädchen in engen Jeans, „sind ganz individuell und sehr modisch. Hat mich richtig erstaunt.“ Seine Fahrgäste seien sehr pünktlich, sehr freundlich, aber auch sehr zurückhaltend. Erst das deutsche Bier habe sie dazu gebracht, sich ein wenig zu öffnen.
Nach dem Essen bringt Herr Babic seine Gruppe zum Reichstag. Dort marschiert Herr Zhi mit einer blauen Reiseführerfahne voraus. Die Fotoapparate werden ausgepackt. Lily Qi, 34, hat in drei Tagen vier Filme verschossen. Von Deutschland wusste sie bereits vor ihrer Reise, dass seine Bewohner, speziell die männlichen, gut erzogen und intelligent sind: „Sie halten die Tür auf, geben Feuer, nehmen einem die Jacke ab.“
Die meisten in der Gruppe kommen aus Peking, einige aus Schanghai. Für die Reise haben sie die Glückszahl von 8.888 Yuan (etwa 1.111 Euro) bezahlt. Angesichts dieses Preises und ihrer Konsumfreudigkeit könnte man davon ausgehen, sie alle gehörten der Oberschicht an. Aber Herr Zhi korrigiert: „Das sind ganz normale Angehörige der Mittelschicht. Der Preis ist für sie gar kein Problem.“
Und die ganz Jungen, die noch nicht selber verdienen? „Ich hab das Geld von Mama!“, strahlt Gao Ya Si, 20, auf die Frage einer Reporterin. Deutschland gefalle ihr ausgezeichnet, sie würde jederzeit wiederkommen.
Und wie gefallen ihr die deutschen Männer? Verdutzt schaut Gao von der Radioreporterin auf den taz-Reporter, mustert ihn eine Sekunde – und gibt eine höfliche Antwort.
Dann ruft Herr Zhi: „So, jetzt aber weiter zum Brandenburger Tor“, wedelt mit seiner Fahne und haut sie aus Versehen in das Gesicht eines deutschen Passanten. Der wird es ihm verzeihen. Schließlich braucht sein Land das Geld der netten Menschen aus dem Fernen Osten dringend. TOBIAS HÜLSWITT