Unser Barack

Durch die Wahl Obamas ist eine fest verschlossen geglaubte Tür plötzlich geöffnet. Und viele weitere werden folgen

Ich bin US-Amerikanerin und unterrichte seit vielen Jahren am Bielefelder Oberstufenkolleg. Seit einiger Zeit frage ich mich, warum die Wahl Obamas mich so sehr berührt.

Zunächst dachte ich, es ist vielleicht so eine Art Superpower-Nostalgie: das Ende des US-Zeitalters und der Beginn von BRIC (Brasilien, Russland, Indien, China). Doch kürzlich habe ich ein Kommentar von dem US-amerikanischen Journalisten James Carroll gelesen, in dem auch er seine Gefühle beschreibt. Er ist ungefähr in meinem Alter – Baby Boomer, um die 60 Jahre alt. Als Barack Obama in der dritten Fernsehdebatte mit John McCain sagte, dass Joe Biden ein guter Präsident sein würde, „if, heaven forbid, something happened to me“, empfand er Erleichterung. In diesem Moment, schreibt er, merkte er plötzlich, dass ein großer Druck von ihm wich: Es war die Angst, die ihn, bewusst oder unbewusst, erfasst hatte, dass auch Obama erschossen werden könnte. Wie Robert Kennedy und M. L. King vor ihm. Bis zu dem Moment, bis Obama die Gefahr selbst beim Namen genannt hat, habe er sich selbst verboten, so etwas auch nur zu denken.

Als ich diesen Artikel las, wurde mir klar, warum mich diese Wahl so berührt: Es ist, als ob ich zurückkehre ins Jahr 1968 – als ich eine 18-jährige College-Studentin war in Columbus, Ohio, Mitglied im SDS (ohne das Wissen meiner Eltern) und leidenschaftlich gegen Vietnam demonstriert habe – und gegen eine Rassendiskriminierung in den USA, die bis heute andauert.

Es ist nicht so, dass die Schüsse vom Frühjahr 1968 von heute auf morgen alles verändert hätten. Wenn ich versuche zu verstehen, was mit unserem politischen Elan passiert ist, dann kann ich mich nur noch daran erinnern, dass nach Nixons Einmarsch in Kambodscha alles still wurde. Auf meinem Campus haben wir noch einmal protestiert – trotz der Bundespolizei auf dem Campus, trotz der Panzer auf den Straßen, der Hubschrauber über unseren Köpfen die ganze Nacht, mit Flutlichtern und Tränengas. Vier Tage später hat dieselbe Bundespolizei vier friedlich demonstrierende Studenten auf dem Nachbarcampus – Kent State – erschossen. Nixon nannte sie „bums“. Danach kamen Klausuren, danach verschwanden die Anführer der Studentenbewegung, schossen die Black Panthers auf die Polizei in den Ghettos, es gab einen Mini-Krieg in den Ghettos, und die Unis wurden ruhig. Warum, habe ich nie verstanden. Was war passiert? Wir waren wie im Tiefschlaf. Erfroren, im Tiefkühlfach.

Barack Obama, der in seinem Leben auch so viele unterschiedliche Phasen durchgemacht hat: Kindheit in Indonesien, Teenagerjahre in Hawaii mit Freunden, die Drogen nahmen und alle auf Weiße wütend waren; Studium in New York und Boston. Schließlich arbeitete er für 10.000 Dollar in den Slums von Chicago statt für 120.000 Dollar Startgehalt auf der Wall Street. Obama hat mich und meine Generation aus diesem Tiefschlaf geweckt, in den uns das Attentat auf Kennedy und die Erschießung unser Kommilitonen gestoßen hat. Zum ersten Mal wagen wir wieder zu hoffen, dass das Amerika, das wir lieben, erneut zu Wort und an die Macht kommt.

Es ist nicht so, dass ich alles unterstütze, was Obama gutheißt: Seine Befürwortung der Todesstrafe für Kindervergewaltiger lehne ich total ab – wie überhaupt die Todesstrafe. Auch seine Idee, den Krieg nach Afghanistan auszudehnen, halte ich für falsch, ebenso seine Nahostpolitik. Aber ich habe die Hoffnung, dass einiges von dem, was er jetzt sagt, einfach ein Kompromiss ist, um gewählt zu werden. Kein amerikanischer Kandidat kann gegen die Todesstrafe sein und zum Präsidenten gewählt werden. Doch bei Obama weiß ich, dass er sieht, wie viele Schwarze im Todestrakt sitzen und wie unverhältnismäßig oft die Todestrafe in den USA angewandt wird. Ein Schwarzer, der einen Weißen tötet, wird dreimal häufiger zum Tode verurteilt als ein Weißer, der einen Schwarzen ermordet. Aber vor allem: Beim Lesen von Obamas beiden Büchern war ich tief berührt von der Ehrlichkeit, mit der er über sein Leben berichtet. An seinem ersten Schultag etwa gab es nur ein anderes schwarzes Mädchen auf der Schule. Sie wollte neben ihm sitzen. Er aber hat kapiert, dass, wenn er neben ihr sitzt, er für immer den Anschluss an die weißen Kids verpassen würde. Also hat er sie vergrault. Obama beschreibt, wie er mit schlechtem Gewissen schweigend an ihr vorbeiging, Tag für Tag.

Diese Wahl ist endlich der Moment, auf den so viele wie ich in den USA – und in der Welt – gewartet haben. Dass die USA noch einmal der Welt ihr Bestes geben, bevor sie in den Hintergrund des Weltgeschehens rücken.

BEATIRX LOGHIN

Ich hätte es kaum zu hoffen gewagt. Bis zum letzten Moment, bis zur ganz offiziellen Verkündung, konnte ich es einfach nicht glauben. Bloß nicht zu früh freuen, die Enttäuschung bei einer Niederlage wäre unerträglich gewesen.

BEATRIX LOGHIN, 59, arbeitet als Lehrerin in Bielefeld. Das Jahr 1968 erlebte die Amerikanerin als College-Studentin in Columbus

Doch jetzt wird es ihn tatsächlich geben, den ersten Schwarzen US-Präsidenten. In einem Land, in dem Schwarze Menschen lange sogar juristisch nur den Bruchteil des Wertes eines wirklichen, also weißen, Menschen hatten. Genau hier hat es Barack Obama allen gezeigt. Und ich freue mich. Und mit mir, viele andere Schwarze Menschen, die in Deutschland leben. Seit der Wahlnacht halten die euphorischen Freudenbotschaften per E-Mail und Textnachricht mich in Gange. Und ich freue mich besonders, weil diese Nachrichten auch von denen kommen, die sich normalerweise nicht mit Politik beschäftigen.

Warum freuen wir uns so? Was bewegt uns so? Wo es doch nicht um unser Land geht? Sondern um ein Land, auf das man von Deutschland aus immer gern den Finger zeigt, wenn es um das Thema Rassismus geht. Genau dort wird ein Schwarzer Mann von der noch immer mehrheitlich weißen Bevölkerung in das höchste politische Amt gewählt. Wo will Deutschland denn jetzt noch hinzeigen? Werden die deutsche Bevölkerung, die Politik und die Medien jetzt vielleicht tatsächlich mal nach innen sehen müssen?

Denn hierzulande ist etwas Ähnliches schwer vorstellbar. Obwohl seit Jahrhunderten Schwarze Menschen in Deutschland leben, Familien gründen, studieren, ihre Spuren in Wissenschaft, Kunst und Kultur hinterlassen, wehren wir als uns täglich gegen die Bilder, die in den Medien von uns gezeigt werden. Wehren wir uns dagegen, dass Schwarze Kinder fast ausschließlich mit destruktiven Identifikationsfiguren aufwachsen, weil nur die in den deutschen Medien, wie auch in Kinder- und Schulbüchern, zu sehen sind.

Als Barack Obama als Präsidentschaftskandidat nach Berlin kam, pilgerten Afrodeutsche aus dem gesamten Bundesgebiet in die Hauptstadt. Eltern Schwarzer Kinder nahmen ihren Nachwuchs mit, damit sie Teil eines historischen Ereignisses werden konnten. Damit sie mit eigenen Augen sehen konnten, dass es für sie Optionen gibt. Dass es eine Wirklichkeit gibt, die sie in Deutschland meist nicht zu sehen bekommen. Für viele ein ermutigendes Erlebnis.

In Deutschland fehlen diese Erlebnisse. Seit über 20 Jahren kämpfen Afrodeutsche auf verschiedenen Ebenen für eine realistische, faire Öffentlichkeit, für eine Repräsentanz abseits der sexualisierten und kriminalisierten Klischees. Doch noch immer sehen wir die gleichen Bilder, sind unsere Vorbilder Rapper, Sportler und Witzfiguren.

Auch, wenn wir die Entertainer lieben und uns über erfolgreiche Sportler freuen, können wir uns nur schmerzerfüllt ansehen, wie Athleten hierzulande Zielscheibe von rassistischen Sprechchören, Pöbeleien und Angriffen werden. Wir hören Affenlaute und sehen Bananen auf Spielfelder fliegen. Wir sehen nicht, was wir unseren Kindern als Erfolgsmodelle zeigen können, um sie stark und erfolgreich zu machen. Eher weitere Zeichen dafür, dass sich die Mühe gar nicht lohnt, dass sie in ihrer eigenen deutschen Heimat nie als Menschen behandelt werden, egal, wie gut sie sind.

In Deutschland sind Schwarze Deutsche kaum politisch repräsentiert – wir sind nämlich in weiten Teilen keine „Migranten“, müssen weder Sprache lernen noch uns integrieren – und fallen damit aus dem Rahmen der Gruppen, für die „Beauftragte“ in Frage kommen. Auch, wenn wir tagtäglich spüren müssen, dass man uns für „anders“ hält, wird gleichzeitig so getan, als würde unser Schwarzsein gar keine Rolle spielen. Und wir bleiben mit unseren Belangen im Allgemeinen unsichtbar.

VICTORIA B. ROBINSON, 28, die Aktivistin widmet sich u. a. der Repräsentation schwarzer Frauen in den Medien. Bloggt auf BLACK-print.blogspot.com

Dass in den USA demnächst das höchste politische Amt von einem Afroamerikaner bekleidet wird, ist ein Zeichen dafür, dass Veränderung möglich ist. Dass es Sinn macht, zu kämpfen. Für Teilhabe, Repräsentanz und Respekt. So lässt es sich leicht erklären, warum im August auf dem jährlichen Bundestreffen der Initiative für Schwarze Menschen in Deutschland das T-Shirt mit dem Aufdruck „Yes, we can!“ ein echtes Highlight war. Irgendetwas lag in der Luft, das sich nach Aufbruch, nach Errungenschaft, nach neuen Möglichkeiten anfühlte. Etwas, das uns sagte, wenn es dort geht, dann vielleicht auch hier! Die Zuversicht der Obama-Kampagne hat auch uns angesteckt.

Wir sind ausgehungert nach Bildern von Schwarzen Menschen, an denen wir uns orientieren können. Die uns Möglichkeiten eröffnen, Wege aufzeigen, die trotz aller Widerstände gegangen werden können. Die wir unseren Kindern zeigen können, damit sie zuversichtlich in ihre Zukunft blicken. Wir brauchen Visionen. Auch aus anderen Teilen der Welt. Durch die Wahl Obamas ist eine fest verschlossen geglaubte Tür plötzlich geöffnet. Und viele weitere werden folgen. Yes, we can! Yes, we will!

VICTORIA B. ROBINSON