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Archiv-Artikel

„Religion ist nicht nur Privatsache“

Nuntius Erwin Josef Ender

„Im Sudan waren auch wir Christen Gäste. Man sagte uns: ‚Dort dürft ihr keine Kirche bauen, dort eine ohne Kirchturm, dort nur ohne Glocken‘ “„Man sollte vielleicht von einem Kleidungsstück nicht so viel Aufheben machen. Je mehr man über das Kopftuch redet, umso aussichtsloser wird es“

Sie sind die Botschafter des Papstes in den Hauptstädten rund um den Globus: Die Apostolischen Nuntien sind Vertreter des Kirchenstaats und Mitglieder des ältesten Diplomatencorps der Welt. Der neue Nuntius in Deutschland, Erzbischof Erwin Josef Ender (66), ist erst seit einer Woche in seinem neuen Amtssitz, der Apostolischen Nuntiatur am Südstern, direkt an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. Er ist Deutscher, was bisher noch nie vorkam und als Gunst Roms für die katholische Kirche in der Bundesrepublik gewertet wurde. Der Kirchendiplomat, der schon in Afrika, im Baltikum und zuletzt in Prag dem Vatikan diente, über seine ersten Eindrücke von Neukölln, dem hiesigen Erzbistum, dem politischen Personal im Senat – und dem Kopftuch, das er nicht verbieten würde

INTERVIEW PHILIPP GESSLER

taz: Herr Nuntius, Sie sind Titularerzbischof von Germania in Numidien. Wie lebt es sich dort?

Erwin Josef Ender: Dass man Titularbischof einer untergegangenen Diözese wird, ist eine fictio juris, da man sich nicht vorstellen kann, jemanden zum Bischof zu machen, der kein Bistum hat. Wenn dieser Mann keine reale Diözese bekommt, dann eben eine, die es früher einmal gegeben hat. Nun ist es eine überraschende Fügung der Vorsehung, dass ich Titularbischof dieses Bistums Germania in Numidien bin – und jetzt noch Nuntius in Germania, also in Deutschland. Numidien liegt im heutigen Tunesien. Germania erscheint in den Kirchenakten des 3. und 4. Jahrhunderts als Bischofsstadt. Wo diese zu Zeiten des Augustinus florierende christliche Gemeinde gelegen hat, leben heute kaum mehr Christen.

Da gibt es Ähnlichkeit mit der Situation hier in Berlin: In der Stadt leben auch nicht besonders viele Christen.

In der hiesigen Diözese gibt es über 400.000 Katholiken. Die Gemeinde Germania in Tunesien ist untergegangen. Auch in Europa gibt es einen Auszug aus fast allen christlichen Gemeinschaften. Die Gründe sind bekannt: Säkularisierung, Wohlstand, Technologie. Der Mensch hat nicht gelernt, mit dem Spielzeug Technik zu leben und damit die Möglichkeit der Religiosität zu verbinden. Die fehlende Religiosität in Deutschland ist ein Grund mehr, hier zu sein und Zeugnis zu geben.

Kennen Sie das Schlagwort vom „gottlosen Berlin“?

Da muss man vorsichtig sein. Ich hatte eine ähnliche Situation auf meinem vorherigen Posten in Tschechien, wo es hieß, dass 60 Prozent der Bevölkerung mit Religion nichts mehr zu tun hätten. Ich bezweifle, dass man diese allein deswegen auch schon als „gottlos“ bezeichnen kann.

Ihr erster Eindruck von Berlin kann nicht der beste sein: Ihre Nachbarn in der Hasenheide sind Junkies.

Ich bin hier in Berlin ein homo novus. Der Begriff „Kreuzberg“ sagt mir natürlich von früheren Berichterstattungen mehr als „Neukölln“. Aber ich finde es eine glückliche Entscheidung, dass man sich nicht gescheut hat, das Grundstück hier zu bebauen. Von den Mitarbeitern habe ich gehört, dass es ein recht ruhiges Fleckchen Erde ist. Und alles andere hat seine eigenen Gründe. Wir werden uns hier nicht abschotten. Wir haben trotz dieser Realität das Grundstück angenommen. Das war auch ein Zeichen.

Haben Sie sich gefreut auf die Aufgabe – immerhin gibt es im Vatikan immer wieder Ärger mit der störrischen deutschen Kirche. Stichworte: Schwangerenkonfliktberatung, ökumenisches Abendmahl?

Es war ein Blitz aus heiterem Himmel – und dann ist man erst einmal platt. Zwei Jahre Prag waren zu kurz. Für mich als Schlesier, der in der Grafschaft Glatz geboren ist, war Prag mein Heimatbistum. Dorthin zu kommen, war wie eine Heimkehr. Darum habe ich den Abschied zunächst spontan bedauert. Aber wenn man einmal die Hand an den Pflug gelegt hat, soll man nicht mehr zurückschauen.

Erstmals in der Geschichte wird in Deutschland ein Deutscher Nuntius des Papstes – wie kann der Papst sicher sein, dass Sie nicht loyaler zu Ihren Landsleuten sind als zu ihm?

Loyalität ist nach beiden Seiten gefordert. An erster Stelle bin ich natürlich der Vertreter des Vatikans, des sendenden Staates. Hier habe ich meine erste Pflicht als einer, der gesandt ist. Oft werde ich nicht anders handeln können und dürfen, als es ein Italiener oder Spanier tun würde. Zum anderen bin ich auch Vermittler von der Ortskirche zum Vatikan. Wo eventuelle Verständigungsschwierigkeiten auftreten, kann ich vielleicht leichter zu deren Behebung beitragen.

Als Nuntius gelten Sie hier als so etwas wie der Aufpasser Roms.

Botschafter zu sein, ist immer eine schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe – und die deutsche Kirche hat eine große Bedeutung in der Weltkirche. Man schaut auf Deutschland. Deshalb liegt dem Papst die deutsche Kirche auch sehr am Herzen. Er schätzt sie sehr wegen ihres hohen Niveaus und Profils. Sie bedarf jedoch keines „Aufpassers“, sondern eines verständnisvollen und ehrlichen Vermittlers.

Dem Papst liegt die deutsche Kirche sehr am Herzen, sagen Sie – aber er hat auch viele Sorgen mit ihr.

Nun, das ist auch ein Zeichen von Lebendigkeit. Es ist keine Friedhofsstille. Man denkt mit dem eigenen Kopf. Es muss jedoch zu einem offenen und aufrichtigen Dialog kommen, nicht zu Rechthaberei. Wir sind Teil der Gesamtkirche, wir sind die katholische Kirche in Deutschland, keine „deutsche“ Kirche.

Im Herbst hat eine Reihe von Berliner Priestern in Rom um einen Koadjutor für den hiesigen Erzbischof, Kardinal Sterzinsky, gebeten – jetzt sind Sie da. Ist das Zufall?

Schon Kardinal Sterzinsky sagte mir, dass Journalisten meinten, der neue Nuntius sei gekommen, um hier in Berlin Ordnung zu schaffen – ich habe jedoch keinen Sonderauftrag. Die Erzdiözese ist in einer schwierigen Situation, ebenso die Stadt. Es ist im Grunde eine recht verbreitete Misere.

Aber Sie werden Ihrem Mitbruder Kardinal Sterzinsky schon zur Seite stehen?

Die deutschen Bischöfe haben das schon gemacht durch Ihre Hilfsaktion. Es wäre keinem geholfen, den Kardinal im Stich zu lassen. Natürlich ist auch die Mitarbeit der ganzen Erzdiözese erforderlich. Diese muss aber auch übermorgen noch lebensfähig sein.

Auch im Bistum Aachen und Hildesheim gibt es massive Finanzprobleme – sollte die deutsche Kirche auf die Kirchensteuer verzichten?

Die Kirche ist daran interessiert, sie zu erhalten. Und sie wird ja auch von politischer Seite kaum in Frage gestellt. Leider gibt es Leute, die nur deshalb aus der Kirche austreten, um Steuern zu sparen. Aber es dürfte schwer sein, etwas anderes und Besseres zu finden. Übrigens verdient ja auch der Staat an der Einziehung der Kirchensteuer. Hier herrscht ein „do ut des“.

Seit dreißig Jahren sind Sie Diplomat. Wann fällt Ihnen diplomatisches Verhalten doch noch schwer?

Bevor ich Diplomat bin, bin ich Priester und Bischof. Oft sind deshalb meine Beziehungen zu den anderen Diplomaten mitunter vielleicht etwas menschlicher und weniger formell. Kirchliche Diplomatie hat bekanntlich von ihrer Zielsetzung her stets einen mehr pastoralen Charakter.

Waren Sie auch schon mal Seelsorger für die Diplomaten?

Im Sudan habe ich den katholischen Botschaftern einmal im Monat eine Messe in der Apostolischen Nuntiatur angeboten. Pastorale Arbeit hat mir immer gefallen. So bin ich fast jeden Sonntag mit einem Missionar zum Gottesdienst in die Flüchtlingscamps am Rande von Khartum gefahren. Im Baltikum war ich als Nuntius auch Apostolischer Administrator von Estland, das heißt der Ortsbischof der dortigen Katholiken.

Im Vergleich zu Afrika ist die deutsche Kirche doch ziemlich tot. Oder?

Es sind unterschiedliche Ausdrucksformen. Was man in Afrika erlebt, findet man auch nicht in Spanien oder Italien. Die Afrikaner sind extrovertierter. Der Körper wird viel mehr in die Gebetssprache mit einbezogen, mit Tänzen und begleitenden Gesten. Die afrikanische Liturgie ist darum lebendiger. Aber das heißt nicht, dass der Glaube deshalb auch tiefer ist als im kühleren Norden.

Sie sind nun in einer Stadt, in der der Regierende Bürgermeister homosexuell ist, seine Koalitionspartner meist atheistische Sozialisten sind und Religion, anders als fast überall in Deutschland, kein ordentliches Lehrfach ist. So richtig heimelig können Sie sich hier nicht fühlen.

Der Christ begegnet allen Menschen mit dem gebührenden Respekt. Die Kirche hat von jeher deutlich zwischen dem Irrenden und dem Irrtum unterschieden. Es steht uns nicht zu, zu richten.

Wenn Sie Schulsenator in Berlin wären: Würden Sie das Kopftuch bei Lehrerinnen verbieten – ja sogar bei Schülerinnen wie in Frankreich?

Das ist eine Frage, in der ich selbst noch nicht ganz klar sehe. Ich wundere mich vor allem, wie problemlos man anscheinend bereit ist, Jahrhunderte oder Jahrtausende alte Traditionen zur Disposition zu stellen. Hier ist eine eingehende Diskussion erforderlich. Ist es hinnehmbar, dass für ein Verbot von einigen hundert Kopftüchern in der Schule zugleich tausende oder abertausende Kreuze entfernt werden, Priester und Ordensleute ihr religiöses Kleid ablegen müssen? Das ist kein Verhältnis. Man kann zwar auch ohne Kreuz in den Schulen leben. Aber Religion ist nicht nur Privatsache, sie hat auch ein soziales Umfeld. Und ist das Kopftuch mit dem Kreuz oder Ordensgewand wirklich auf eine Ebene zu stellen? Ist das Kopftuch nicht auch ein politisches Symbol?

Also sollte das Kopftuch verboten werden, während Kreuz und Ordenskleid weiter erlaubt sein sollen?

Nein, die französischen Bischöfe plädieren sogar für die Zulassung des Kopftuches. Man sollte vielleicht von einem Kleidungsstück nicht so viel Aufheben machen. Je mehr man darüber redet, umso aussichtsloser wird es – aber das ist im Augenblick meine rein private Meinung! Die Kirche wird sich in jedem Fall dagegen wehren, altbewährte christliche Traditionen von heute auf morgen über Bord zu werfen. Aus demselben Prinzip der Gleichbehandlung aller Religionen könnten bald auch die Glocken verboten werden, weil man dem Muezzin nicht erlaubt, morgens vom Minarett zum Gebet aufzurufen. Im Sudan waren auch wir Christen Gäste. Man sagte uns: „Dort dürft ihr keine Kirche bauen, dort eine ohne Kirchturm, dort nur ohne Glocken“.

Das haben Sie alles akzeptiert?

Da gab es keine Alternative. Alle diese Fragen müssen eingehend diskutiert werden. Es ist ein Mangel an Identitätsbewusstein, wenn uns unser eigenes christliches Erbe so wenig wert ist.

Einer Ihrer Vorgänger als Nuntius in Deutschland war der spätere Papst Pius XII. – was haben Sie noch vor?

Mit 70 können die Nuntien an die Pension denken, mit 75 müssen sie es. Ich habe also – so Gott will – noch neun Jahre, die vor mir liegen. Ich hoffe jedenfalls, dass dies das letzte Mal gewesen ist, dass ich packen musste. Vielleicht nur noch zum Umzug dorthin, wo ich den Lebensabend verbringen möchte.

Nach Rom?

In keinem Ort war ich länger, über 30 Jahre. Wenn man in Italien gelebt hat, hat man eine gewisse Vorliebe für dieses Land.

Ihr Herz ist noch nicht ganz hier.

Es bleibt überall dort etwas von einem zurück, wo man sich einer Sache einmal mit ganzem Herzen angenommen hat. Dennoch ich bin mit Freuden hier und bringe viel guten Willen und Dienstbereitschaft mit. Ich hoffe, dass dann auch der Herrgott das Seine tun wird.