: berliner szenen Style Affairs
Auch das Nackenhaar rockt
Großes Aufgebot vor der Backfabrik. Stretchlimo, Tieflader und ein rosagelber blinkender Riesenwürfel. Es ist die Zeit der teuren Sponsorenpartys. Zumindest die großen Konzerne glauben an Berlin und sein Nachtleben. Zu Bread&Butter lud Adidas mit einer zerstörerischen All Free Party, bald beginnt die Berlinale. Teurer, größer, wilder der Trumpf den sich Agenturen ausdenken, um das Markenimage ihrer Klienten zu liften. Heute ist es Wella, das seine Haarpflegeprodukte ab sofort unter dem Namen „Schockwaves“ aus den Regalen gerissen sehen will. Dafür eingekauft wurde Kid Alex, der sein neues Album „Colorz“ präsentieren soll. Die Tanzfläche im Keller ist in rosa, gelbes Lichtspiel getaucht. GZSZ-Diskodreh de luxe. Es ist voll. Gesund gebräunte Menschen mit teuren Haarschnitten, mit viel Gel flippig schrill zum Himmel gebastelt, tanzen zum hervorragenden DJ-Set von Kid Alex. Hier feiert das coole Mädchen oder der coole Junge aus der Abiturstufe. Nicht die üblichen, schön verheizten Gesichter der Berliner Nacht. Fehler: Die Getränke sind nicht kostenlos, das dämpft die gewünschte Ekstase etwas, trotzdem überall breites Grinsen. Was denn hier los? Lachgas aus der Klimaanlage, Ecstasystaub im Schaumwein? André C. Hercher fotografiert eifrig. Im zweiten Raum gibt es eine mysteriöse abgesperrte Treppe in den Untergrund. Trotzdem reger Betrieb und der erste Auftritt. Ein graziles Mädchen ganz in Schwarz, himmelhohe Absätze, Pelzmütze, trippelt auf die Stufen zu, reißt drei Gläser um. Glassplitter spritzen. Sie merkt nichts, knickt ein, fällt die Treppe hinunter. Ihren Schmerz bekämpft sie unten mit Champagner aus der Flasche.
HENNING KOBER