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Archiv-Artikel

Elbvertiefung unvertretbar

WWF fordert Verzicht auf weitere Flussvertiefung, weil sie Flora und Fauna den Rest gäbe und die Sicherheitsreserven beim Sturmflutschutz aufbrauchen würde. Schleichende Ausrottung von Tieren und Pflanzen. Umfangreiches Gutachten vorgestellt

von GERNOT KNÖDLER

Die World Wildlife Fund (WWF) hält eine weitere Vertiefung der Elbe aus ökologischen Gründen und solchen des Sturmflutschutzes für unvertretbar. Die Gründe dafür sind in einem umfangreichen Gutachten dargelegt, das die Umweltorganisation gestern im Hafenclub vorstellte. Entscheidend ist dabei nach Ansicht der Autoren, dass diese Vertiefung nur das vorläufige Ende einer ganzen Kette von Ausbauten wäre, die vielen vom Aussterben bedrohten Arten den Rest geben könnte. Beim Hochwasserschutz konterkarierte eine Vertiefung die Vorkehrungen gegen Sturmfluten, die aufgrund des Klimawandels erwartet werden.

Die Gutachter Jürgen Lange und Sylke Bischoff gehen davon aus, dass es bei der Bewertung von Elbvertiefungen in die Irre führt, nur den jüngsten Ausbau zu beachten. Die 90 bis 180 Zentimeter Vertiefung seien ein Klacks gegenüber dem Wert, der sich aus der Summe aller sechs Elbvertiefungen der Vergangenheit ergebe: mehr als 13 Meter.

Überdies unterstellen die Gutachter, dass das Amt für Strom und Hafenbau bei einer erneuten „Fahrrinnenanpassung“ besonders brachial zu Werke gehen würde. Es werde sich vermutlich an einer Variante orientieren, die bei den Vorprüfungen für die jüngste Elbvertiefung verworfen worden sei. Demnach würde die Fahrrinne durchgehend auf 16 Meter Tiefe ausgebaggert, verbreitert und eingeebnet.

Das würde eine Entwicklung vorantreiben, die bereits in den vergangenen Jahrzehnten zum Verlust vieler Arten und Lebensräume geführt hat. Ein Ausbau des Stroms würde den Tidenhub vergrößern, die Brackwasserzonen stromaufwärts verschieben, die Strömungsgeschwindigkeit erhöhen und die Sturmfluten verschlimmern.

Vergrößert sich der Tidehub, wird bei Hochwasser ein größeres Gebiet überflutet, bei Niedrigwasser fällt ein größeres Gebiet trocken. Röhrichte würden vom Strom zurückweichen, weil sie an seinen Rändern zu lange und zu tief im Wasser ständen. „Eine Erhöhung der Flutwasserstände um zwei Zentimeter lässt sich direkt übersetzen in den Verlust von Röhrichtfläche“, sagt Lange. Bei der geringen Neigung des Geländes wirkten sich geringste Pegel-Veränderungen auf große Flächen aus. Problematisch für die schmalen Röhricht-Gürtel ist dabei, dass sie nicht landeinwärts ausweichen können, denn dort steht der Deich oder ein Bauer mit seinen Schafen.

Ein Verlust an Röhrichten gefährdet direkt vom Aussterben bedrohte Arten, etwa die Rohrdommel. Jede weitere Verkleinerung ihres Lebensraumes führt dazu, dass sich die Überlebenschancen dieser Arten verschlechtern. „So ein Vogel lebt 15 bis 20 Jahre, aber kann sich nicht mehr ausreichend vermehren“, sagt Bischoff. „Das ist ein schleichender Prozess.“

Nach dem gleichen Muster verkleinert sich die Süßwassertidezone, ein Lebensraum, der weltweit selten ist und an der Unterelbe eine Art beherbergt, die nur hier vorkommt: den Schierlings-Wasserfenchel. Ein größerer Tidenhub sowie schneller ein- und ausschwingende Tiden verschieben die Brackwasserzone aus einem Gemisch von Süß- und Salzwasser stromaufwärts. Weil sich das Süßwassertidegebiet nicht hinter das Wehr in Geesthacht ausdehnen kann, wird es immer kleiner. Zwischen fünf und 20 Kilometer seien in den vergangenen 120 Jahren verloren gegangen. „Für den Naturhaushalt geht hier etwas verloren, was nicht mehr rückholbar ist“, sagt Beate Claus vom WWF.

Darüber hinaus macht die schnellere Strömung für einige Fischarten das Leben anstrengend und sie erhöht den Schwebstoffanteil im Fluss. An dem trüben Wasser laben sich Mikroorganismen, deren Kadaver mit Hilfe von Sauerstoff abgebaut werden. Das senkt den Sauerstoffanteil des Wassers, so dass es zu einem Fischsterben kommen kann.

Auch die Rahmenbedingungen für den Küstenschutz werden sich nach Einschätzung des WWF verändern. „Fahrwasservertiefungen öffnen durch ihre glättende Wirkung auf die hydraulische Rauigkeit der Flussmündungen den einlaufenden Tideenergien ein weites Einfallstor, so dass diese mit kaum verminderter Wucht bis zur Tidegrenze durchschwingen können“, heißt es in dem Gutachten. Das führe zumindest dazu, dass die Sicherheitsreserven, die mit den jüngsten Deichbauten geschaffen worden sind, aufgebraucht würden.