: „Die CDU will einen deutschen Sonderweg“
Heute wird die CDU im Bundestag erneut fordern, den Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung aus dem Zuwanderungsgesetz zu streichen. Damit verhält sie sich völkerrechtswidrig, meint Stefan Berglund vom UNHCR
taz: Herr Berglund, vor nichtstaatlicher Verfolgung – etwa durch Terroristen oder Bürgerkriegsarmeen – flohen viele Menschen auch nach Deutschland. Wie sollen diese Flüchtlinge laut UN behandelt werden?
Stefan Berglund: Wenn das Heimatland keinen Schutz gewähren kann, dann müssen sie gleich behandelt werden wie Flüchtlinge, die aus Angst vor staatlicher Verfolgung ihr Land verließen.
Die CDU sieht das anders. Sie droht, das neue Zuwanderungsgesetz zu blockieren, falls nichtstaatliche Verfolgung in Deutschland zu einer Aufenthaltserlaubnis führen kann …
Deutschland muss seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einhalten.
Was sagt denn die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) konkret zur nichtstaatlichen Verfolgung?
Nichts. Die GFK differenziert nicht zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Verfolgung. Es war 1951 selbstverständlich, dass Menschen auch vor der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure fliehen müssen. Bei der Konvention kommt es auf den Schutz des Flüchtlings an, und nicht auf den Urheber der Verfolgung.
Die CDU stützt sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach schütze die Genfer Flüchtlingskonvention nur vor staatlicher Verfolgung.
Es ist ein bedauerlicher Sonderweg, den die deutsche Rechtsprechung hier in den letzten Jahren gegangen ist. Deshalb begrüßen wir, dass die Bundesregierung per Gesetz klarstellen will, dass auch bei nichtstaatlicher Verfolgung eine Anerkennung als schutzbedürftiger Flüchtling möglich ist.
Ist Deutschland der einzige EU-Staat, der die Genfer Flüchtlingskonvention so restriktiv ausgelegt hat?
Mitte der Neunzigerjahre gab es diese Tendenz auch in anderen Staaten, inzwischen ist Deutschland aber völlig isoliert.
Sind in den letzten Jahren Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben worden, weil sie „nur“ nichtstaatlich verfolgt wurden?
Uns ist kein Fall bekannt.
Wo liegt dann das Problem?
Oft unterbleibt die Abschiebung lediglich, weil es keinen Flugverkehr in den Heimatstaat gibt. Der Flüchtling bekommt nur eine Duldung, aber keinerlei Sicherheit. Außerdem kann ein geduldeter Flüchtling nur sehr schwer Arbeit finden, darf seine Familie nicht nachholen und hat auch nach jahrelangem Leben in Deutschland kein Recht auf Einbürgerung.
Die Union fürchtet, dass viel mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen würden, wenn die nichtstaatliche Verfolgung künftig zu einem besseren Rechtsstatus führte …
Dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Man muss ja nur einmal ins Ausland schauen, wo nichtstaatliche Verfolgung schon lange als Fluchtgrund akzeptiert wird. Da passiert nichts Außergewöhnliches.
In Deutschland leben derzeit rund 900.000 Flüchtlinge mit abgeschlossenem Asylverfahren. Wie vielen davon wurde die Anerkennung verweigert, weil sie nichtstaatlich verfolgt sind?
Darüber gibt es keine Statistik, aber ich schätze, es geht um mindestens zehntausend Menschen.
In welchen Staaten gibt es heute vor allem nichtstaatliche Verfolgung?
Nach Europa kommen zum Beispiel Menschen, die in Algerien von islamistischen Terrorgruppen bedroht werden. Auch aus Somalia mit seinen Clankämpfen, wo kein Staat mehr Schutz bietet, kommen Flüchtlinge.
Welche Rolle spielt die geschlechtsspezifische Verfolgung in dieser Diskussion?
Sie ist ein typischer Fall nichtstaatlicher Verfolgung. Unangepasst lebende Frauen fühlen sich oft weniger von ihrem Staat bedroht als von religiösen Instanzen oder dem eigenen Clan, der eigenen Familie …
In der Praxis gibt es sehr wenig weibliche Flüchtlinge, die sich auf geschlechtsspezifische nichtstaatliche Verfolgung berufen. Warum spielt sie in der politischen Diskussion dennoch eine so große Rolle?
Weil hier einerseits ein partei-übergreifender Konsens besteht, Frauen zu helfen, die etwa vor drohender Genitalverstümmelung fliehen. Andererseits behinderte die restriktive Rechtsprechung zur nichtstaatlichen Verfolgung genau diesen Schutz. Das hat viel Kritik hervorgerufen.
Im EU-Ministerrat wird derzeit über eine Richtlinie diskutiert, die Flüchtlingspolitik harmonisieren soll …
… und wieder stand Deutschland allein gegen die Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung, wie sie die EU-Kommission vorschlug. Immerhin hat die Bundesregierung im letzten Dezember ihren entsprechenden Vorbehalt zurückgezogen.
Bald wird also eine EU-Richtlinie den Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung europaweit vorschreiben. Rechtsschutz bietet dann der Europäische Gerichtshof. Wie wichtig ist da noch die deutsche Debatte um das Zuwanderungsgesetz?
Vorsicht! Noch ist die EU-Richtlinie nicht beschlossen. Deutschland blockiert sie derzeit aus anderen Gründen. Da kann noch viel passieren. Deshalb ist eine klare Regelung im Zuwanderungsgesetz nach wie vor wichtig und erforderlich.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH