: Tod eines Hoffnungsträgers
Serbiens Ministerpräsident Zoran Djindjić ist tot. Er wurde von Heckenschützen ermordet. In Belgrad herrschen nach dem Attentat Trauer und Furcht
aus Belgrad ANDREJ IVANJI
Am Mittwoch kurz vor 13 Uhr hörte man mehrere Schüsse aus dem Hof des serbischen Regierungsgebäudes im Zentrum Belgrads. Kurz danach erreichte die schockierende Nachricht die Bürger Serbiens: Ministerpräsident Zoran Djindjić sei von mehreren Schüssen verwundet worden und befinde sich in einem kritischen Zustand.
Das Chaos in Belgrad war komplett. Polizeisirenen waren überall zu hören, das Zentrum der serbischen Hauptstadt wurde von der Polizei abgeriegelt. Schwer bewaffnete Polizisten mit Panzerhemden hielten jeden Passanten an, durchsuchten jedes Auto. Alle Flüge vom Belgrader Flughafen wurden vorerst verschoben. Die Polizei baute Sperren an allen Belgrader Zufahrten auf.
Nach inoffiziellen Informationen sollen die Leibwächter den verletzten Premier unmittelbar nach dem Attentat ins Auto getragen und in ein nahe gelegenes Krankenhaus gefahren haben. Von einem Arzt konnte man nach der Operation erfahren, dass Djindjić zwei Schusswunden in der Bauchgegend und eine Durchschusswunde in der Herzgegend hatte.
Eine Stunde nach dem Attentat war es dann aus. Djindjić erlag seinen Verletzungen. Viele Bürger Serbiens, die in Djindjić den Hoffnungsträger für die Demokratisierung des Landes sahen, waren gelähmt vor Trauer. Der kurzfristige Traum von einer Stabilisierung Serbiens war ausgeträumt. Vor allem bei jüngeren Menschen, die von dem brutalen Tod des Premiers erfahren hatten, konnte man Tränen in den Augen sehen.
„Schrecklich! Schrecklich!“, sagte ein Passant. Er habe gehofft, dass die unsicheren, blutigen Zeiten von Slobodan Milošević vorbei seien. Und dann passiere so etwas. Wie „zu Milošević’ Zeiten“. Vor der Wende in Serbien wollte Milošević’ Regime Djindjić beseitigen, „drei Jahre nach der Wende ist es ihnen gelungen“.
Aus Polizeikreisen ist zu vernehmen, dass es sich bei den Tätern um zwei noch unbekannte Attentäter handelt. Einer von ihnen soll von einem nebenliegenden Gebäude auf den Premier geschossen haben.
Die serbische Regierung trat gestern umgehend zu einer Krisensitzung zusammen. Sie will den Ausnahmezustand ausrufen. Die Aufgaben des Ministerpräsidenten übernimmt kommissarisch Nebosja Covic. Die Situation ist um so chaotischer, als Serbien zu diesem Zeitpunkt keinen Präsidenten hat. Das Amt der Interimspräsidentin hat seit Ende letzten Jahres Parlamentspräsidentin Nataša Mišić inne.
„Fürchterlich. Wirklich grauenhaft“, erklärte kurz nach dem Attentat der ehemalige jugoslawische Präsident Vojislav Koštunica. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei Serbiens (DSS), Djindjić’ heftigster politischer Kontrahent, meinte, das Attentat sei ein schwerer Schlag gegen die junge Demokratie in Serbien. Djindjić hatte viele Feinde. Er kämpfte gegen rechtsradikale und nationalistische Kräfte, gegen das organisierte Verbrechen, für die Zusammenarbeit mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal und für Reformen in Polizei, Armee und Justiz. Die Auftraggeber der Attentäter kann man in all diesen Kreisen vermuten.
Die schwachen Sicherheitsmaßnahmen um Djindjić seien unerklärlich, meinte ein Polizeioffizier, der nicht genannt werden wollte. Erst vor zwei Wochen war ein Attentat auf den Premier in Belgrad fehlgeschlagen. Dejan Milenković, genannt „Bugsy“, versuchte mit einem Lkw eine Autokolonne, in der sich Djindjić befand, zu rammen. Ein weiteres Auto mit den eigentlichen Attenätern soll der der Kolonne gefolgt sein. Milenković wurde gefasst und nach nur zwei Tagen aus unerklärlichen Gründen wieder freigelassen. Angeblich lautet die Anklage, er habe gefälschte Autopapiere besessen. Als man Milenković dann wegen „versuchten Attentats“ wieder verhaften wollte, war er spurlos verschwunden. Milenković ist Mitglied eines Clans des organisierten Verbrechens, der sich als der „Clan von Surcin“, einem Vorort von Belgrad, bezeichnet.
Die Spur führt zum organisierten Verbrechen, das verflochten ist mit ehemaligen Mitgliedern der Sondereinheiten von Polizei und Armee. Einerseits waren die Geschäfte der Unterwelt bedroht, andererseits befürchteten viele ehemals in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo eingesetze Kämpfer, vom prowestlichen Premier an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert zu werden.