Wer will denn hier noch bleiben?

Die Serben trauern auf den Straßen von Belgrad um ihren toten Ministerpräsidenten. Der Mord an Zoran Djindjić stürzt vor allem die serbische Jugend in tiefe Verzweiflung

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Drei Tage lang soll in Serbien die offizielle Staatstrauer nach dem tödlichen Attentat auf Zoran Djindjić dauern. Fahnen wehen auf Halbmast, Radio und Fernsehen spielen klassische Musik, die Diskotheken sind geschlossen. Doch die Behörden müssen den Bürgern keine Anweisungen zur Trauer geben. Tausende Menschen begaben sich in der Nacht nach dem Anschlag auf den Premier spontan zum Tatort. Vor dem Gebäude der serbischen Regierung im Zentrum Belgrads wurden Kerzen angezündet, Blumen auf die Straße gelegt. Serbisch-orthodoxe Popen stimmten schwermütige Trauergesänge an. Schwer bewaffnete Polizisten schauten verlegen der stillen Zeremonie zu.

„Heute hat man auf Serbien geschossen. Wohin bist du gegangen, wem hast du uns überlassen?“, stand handgeschrieben auf einem Pappkarton. Es waren hauptsächlich junge Menschen, die mit Tränen in den Augen durch die Straßen der totenstillen, sonst so lauten serbischen Metropole zogen. Djindjić war ein Held der Jugend.

„Ihn kann niemand ersetzen. Ich haue endgültig aus diesem gottverdammten Land ab“, sagte schluchzend eine junge Frau. Laut Meinungsumfragen wollten schon vor dem Attentat rund 60 Prozent der jungen Menschen aus Serbien emigrieren. Nun glauben viele, dass die Reformen und die Hoffnung auf bessere Zeiten mit Djindjić gestorben sind. Wer würde denn in einem Land investieren wollen, in dem man den Premier am hellen Tage, im Hof des Regierungsgebäudes einfach abknallen kann, fragte sich die junge Frau.

Die serbische Regierung bemüht sich, Serbien vor einem Chaos zu bewahren. Djindjić’ Stellvertreter, Nebojša Čović, mahnte die Bürger, die Ruhe zu bewahren. Ein Ausnahmezustand ist verhängt worden. Dieser „Akt der Machtlosigkeit“, wie einige Kommentatoren meinen, zeigt, wie wenig Vertrauen die serbische Regierung in die Polizei, die Justiz und die brüchigen staatlichen Institutionen hat. Die Armee soll die Kontrolle über die Polizei übernehmen, die, davon geht man aus, mit dem organisierten Verbrechen zum Teil eng verbunden ist.

Die Armee sei bereit, die Täter ausfindig zu machen, versicherte Generalstabschef Branko Krga. Die Reformen in der Armee sind viel weiter vorangekommen als in der Polizei. Ob sich einzelne Einheiten der Polizei ohne weiteres dem Generalstab unterordnen würden, da ist sich Čović überhaupt nicht so sicher. Auch ist weitgehend unbekannt, wie groß die Autorität von Krga innerhalb der Streitkräfte ist.

„Ziemlich naiv haben wir gedacht, dass die Kräfte, die vor der Wende Serbien beherrschten, besiegt seien“, sagt der Politologe Vladimir Goati. Djindjić hatte es mit seinen Reformen auf diese „in allen Segmenten der Gesellschaft verborgenen Strukturen“ abgesehen. Das habe ihn sein Leben gekostet.

Die serbische Regierung hat die Namen von 23 Personen genannt, die das Attentat organisiert und ausgeführt haben sollen. Medien brachten Fotos der Hauptverdächtigen, alles Mitglieder des so genannten „Clans aus Zemun“. Die Aktion gegen die mutmaßlichen Täter sei schon im Gange, erklärte Vizepremier Žarko Korać. Sie versteckten sich, und das sei schon ein Zugeständnis. Mehr Informationen gibt es nicht. Während des Ausnahmezustands sind serbische Medien darauf beschränkt, nur offizielle Mitteilungen der serbischen Regierung zu verbreiten.