Das Wort zum Sonnabend : Der Tag vor dem Tag vor dem Tag
Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in die Bremer „Mischung aus dem Nordischen und einer Art Little Berlin“. Hausautor des Stadttheaters, holt der in Lübeck aufgewachsene und bundesweit gefeierte Dramatiker Jahrgang 1976 für die taz-Bremen samstags Perlen aus dem hanseatischen Schlick.
Als Kind habe ich mich immer auf den Sonntag gefreut. Den ganzen Tag frei, selbst bestimmter Kategoriensturz. Und samstags das wonnige Gefühl: Morgen hast du die ganze Zeit nur für dich. Also habe ich mich als Teenie immer auf den Samstag gefreut. Freitags das entzückte Vorwissen: Morgen wirst du dich die ganze Zeit auf übermorgen freuen. Also habe ich als Erwachsener angefangen, mich auf Freitag zu freuen. Undsoweiter, undsoweiter. Meine persönliche Bestleistung war es, schon am Mittwochabend die Mitte der Woche knapp in meinem Rücken zu spüren, gerade eben die Spitze des Berges hinter mich gebracht. Aber bis zum Montag habe ich mich nicht verfeinern können, er bleib der gehassliebte Feind, notwendiger Akzent. Und wie lustig wäre es gewesen, einen Sonntag als Vorboten des nächsten Sonntags wahrzunehmen. Eingependelt habe ich mich schließlich auf Donnerstagabend.
Der Samstag war unterdessen zur selbst erregten Öde verkommen. Ich in der melancholischen Nachmittagssonne. Ich, der letzte Mensch, Wüstenbewohner einer absterbenden Einkaufszone. Das zerdehnte Nichts zwischen Ladenschluss und Beginn der abendlichen Kneipentour. Das ganze Wissen um die Sinnlosigkeit, sich auf den Tag vor dem Tag vor dem Tag zu freuen, füllt mich aus, die immer morgige Karotte wie ein Esel vor der Nase, die volle Packung. Ich habe mir amerikanische Verhältnisse herbeigesehnt: Alle Geschäfte durchgehend geöffnet. Ich wollte die Samstagsleiche aus meiner inneren Schau löschen, den Zeugen meiner lächerlichen Kindheitsverwirrung. Das haben andere für mich übernommen.
Kein Blut an meinen Händen. Nein, kein Blut. Die Unschuld in Person, genieße ich meine letzten verwilderten Spaziergänge am Samstagnachmittag ohne potente Käufer. Hier mein sehnsüchtiger Blick in das gut ausgeleuchtete Schaufenster: Wäre ich doch ein bisschen eher losgegangen, dann könnte ich mir jetzt die Designersalatschleuder da kaufen. Dort meine boshafte Projektion: Immer die Dicken mit ihren prall gefüllten Tüten, Hausfrauen aller Länder, vereinigt euch. Bin mir selbst vertraut in dieser Einsamkeit, mich gegen alle anderen zu erklären. Nie wieder das orientierungslose ,Und jetzt??‘ der Samstagnachmittage. Nie wieder ich als steinerner Nullvektor auf Pflastersteinen der Innenstadt festgepflastert. Und wie immer, die alte, liebgewonnene Plattitüde, Refrain aller Zeitabläufe: Ich lerne etwas erst schätzen, nachdem ich es verloren habe. Ruhe sanft, kleiner Samstagnachmittag. Kristo Šagor