: Leben im Warteraum
Sie dürfen die Stadt nicht verlassen, dürfen nicht arbeiten und bangen ständig um ihre Zukunft – die Sinti- und Roma-Flüchtlinge in Berlin fürchten um ihr Bleiberecht
Die Nervosität ist Sherif Omerovic anzusehen. In der einen Hand zittert das Blatt, von dem er seine Rede abliest, in der anderen vibriert ein Mikrofon. Für den Roma-Flüchtling ist diese Ansprache im Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi die letzte Hoffnung. „Hier sind mein Zuhause und meine Freunde. Ich will in Deutschland bleiben“, sagt er in perfektem Deutsch. Das Publikum im kleinen Zirkuszelt klatscht Beifall, manche Kinder fangen an zu johlen. „Hier geblieben – Bleiberecht für Sinti und Roma“ ist das Motto der Aufführung, mit dem der Zirkus auf die Lage der Flüchtlinge in Berlin aufmerksam machen will. Seit 12 Jahren lebt der 17-jährige Sherif in Berlin, doch bald muss er um seine Aufenthaltsgenehmigung bangen.
Denn Ende März läuft der Abschiebestopp für die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aus. 15.000 in Berlin lebende Flüchtlinge sind deshalb nicht mehr von einer Ausweisung in ihre frühere Heimat sicher. In Deutschland besitzt die Roma-Familie Omerovic aus Bosnien-Herzegowina nur einen Duldungsstatus. „Erst jetzt wird mir die schlimme Situation bewusst. Bevor ich 16 war, hab ich gar nicht mehr an eine Abschiebung gedacht, weil nur meine Eltern auf das Amt gegangen sind“, sagt Sherif. Jetzt steht er selbst alle drei Monate auf dem Flur der Ausländerbehörde und wartet auf die Unterschrift, die seinen Berlin-Aufenthalt immer wieder ins nächste Quartal hinüberrettet.
Seit 1996 gehört er dem Ensemble des Zirkus Cabuwazi an, ist schon als Clown und Stelzenläufer aufgetreten und hat sich auch als Akrobat versucht. „Das Stepptanzen gefällt mir allerdings am besten. Da kann man sich so richtig dem Rhythmus hingeben“, beschreibt Sherif seine wirkliche Leidenschaft. Wenn er nicht für seine Auftritte übt, spielt er mit seinen Freunden Fußball oder Basketball auf dem Schulsportplatz. In einem halben Jahr hat er die Hauptschule beendet und bereits jetzt sammelt er Flugblätter von Gaststätten, bei denen er eine Kochausbildung machen könnte. Mit der Duldung, die er immer wieder einholen muss, ist das nicht möglich. Denn die verbietet es ihm und seiner Familie zu arbeiten. „Meine Eltern sitzen seit zwölf Jahren in der Wohnung rum. Das will ich auf keinen Fall“, beteuert er energisch.
Wenn er auf seine Zukunft angesprochen wird, ist er in letzter Zeit meist ratlos. „Am liebsten würde ich eine deutsche Frau heiraten“, grinst er und besinnt sich gleich wieder auf die Realität: „Ich weiß doch gar nicht, was ich in Bosnien machen soll. Ich kann noch nicht einmal mehr die Sprache.“
Als er 5 Jahre alt war, sind seine Eltern mit ihm und seinem damals 8-jährigen Bruder Mohammed in die deutsche Hauptstadt gekommen. Seine Schwester Sonita kam kurz darauf hier zur Welt. Seitdem war er einmal an einem anderen Ort. Im Sommer durfte ich auf Klassenfahrt nach London. „Das war das erste Mal in einer fremden Stadt.“
AGNES CIUPERCA