Auf den Spuren des polnisch-jüdischen Künstlers Bruno Schulz: „Bilder finden“ im 3001
: Entwurf eines Gedächtnisses

Ein Mann geht im Winterlicht durch die verschneite Stadt, den Pelzkragen hochgeschlagen, als plötzlich ein Bild vor seinem inneren Auge erscheint: Ein Pferd im Trab, den Leib von schwarzen Stiefeln umrahmt. Es schnaubt. Der Mann schüttelt den Kopf, vertreibt das aufblitzende Bild, so dass Pferd und Reiter verschollen sind, als er das gesuchte Haus betritt. „Kannten Sie Bruno Schulz?“, fragt er den alten Mann, der in der Küche Tassen, Untersetzer, Löffel zusammensucht. Ja, er habe ihn gekannt, er sei bei Schulz zur Schule gegangen, antwortet der Alte.

So beginnt eine Suche, dokumentiert im Film Bilder finden von Benjamin Geissler, in deren Verlauf etwas gefunden und etwas entworfen wird: Gefunden werden Bilder von Bruno Schulz, polnisch-jüdischer Schriftsteller und Maler, der vom SS-Scharführer Karl Günther am 19. November 1942 auf der Straße erschossen wurde. Doch im Verlauf der Suche wird auch etwas entworfen, das zum Verständnis der Bilder unumgänglich ist: Ein Gedächtnis, gemacht aus Film, mit Lücken, Brüchen, Widersprüchen, in dem sich Menschen mit Worten, Bildern, Tönen eintragen, von denen wenige sich erinnern, manche kaum und einige gar nicht, zumindest nicht an diesen Menschen namens Bruno Schulz.

Nein, sagt beispielsweise Wolf-Dieter Landau am Telefon im fernen Australien, er könne sich nicht an die Zeit in Drohobycz erinnern, da sei er zu klein gewesen, nur die Pferde, die Pferde seien ihm im Gedächtnis geblieben. So wird eine Vergangenheit beschlossen, die Opfer nicht mit einschließt. „Einen Abschnitt seines Lebens vergessen heißt: Die Verbindung zu jenen Menschen verlieren, die uns zu jener Zeit umgaben“, umschreibt Maurice Halbwachs dieses Phänomen.

Dabei hätte Wolf-Dieter Landau zumindest die Chance gehabt, jene Bilder zu schauen und jenen Mann zu erleben, deren und dessen Spuren so akribisch in Bilder finden gesucht werden. Zumindest bemalte der Künstler die Wände seines Kinderzimmers mit Fresken, um das eigene Leben zu retten. Im Jahr 1941 arbeitete Bruno Schulz für dessen Vater Felix Landau, Leiter des „jüdischen Arbeitseinsatzes“ im von Deutschen okkupierten Galizien, indem er in einigen Häusern in Drohobycz Wandfresken malte, so auch in dem von Landau bewohnten Gebäude, der ehemaligen polnischen Polizeistation.

Landau habe daran Gefallen gefunden, sich mit „feinen Menschen“ zu umgeben, sagt eine Zeitzeugin, und so brüstete sich der SS-Mann mit der Versklavung des jüdischen Künstlers. Rein technische Worte findet er hingegen in seinem Kriegstagebuch für eine Massenerschießung, die im Film zitiert werden: „Die Todeskandidaten werden in drei Schichten eingeteilt, da nicht so viel Schaufeln hier sind. Eigentümlich, in mir rührt sich gar nichts, kein Mitleid – nichts – es ist eben so – und damit ist für mich alles erledigt ...“ Dass er hundemüde zurückgekehrt sei, berichtet er weiter, und dann „wieder an die Arbeit“ gehe: „Alles im Gebäude in Ordnung bringen.“

Ob er bei der Rückkehr Schulz antraf? Wir wissen es nicht und können auch nicht erfahren, wie deren persönliches Verhältnis aussah. Festgelegt auf jene Spuren und Fragmente, die uns an die Hand gegeben werden, können wir nur ahnen, was für ein Mensch jener Schriftsteller war, der die Wirklichkeit als Schatten des Wortes beschrieben hat, dessen persönlicher, unvollendeter und zunichte gemachter Ausweg mithin möglicherweise die Kunst war und dessen visionäre Kraft sich in seinen Worten erweist: „Doch die offizielle Geschichte ist unvollendet. Sie enthält absichtliche Lücken, lange Pausen und Verschweigungen, in denen sich rasch der Frühling einnistet.“

Benjamin Geißler ist angetreten, der Schulz‘schen Aufforderung Folge zu leisten: „hinter diesem Wirrwarr den eigentlichen Text zu finden“. Doch dieser Text ist lückenhaft und verschwiegen, und er muss immer neu gedeutet werden. Mit Bilder finden ist ein Schritt in diese Richtung getan. Doro Wiese

täglich (Donnerstag in Anwesenheit des Regisseurs), 19 Uhr, 3001