: Bittere Erkenntnis
betr.: „Friedrich Merz verteidigt Großvaters Ehre“, taz vom 21. 1. 04
Es ist typisch, tragisch und naiv zugleich, wie auch Herr Merz einer Einstellung unterliegt, die es in vielen deutschen Familien gibt: der „kumulativen Heroisierung“. In ihrem Buch „Opa war kein Nazi“ zeigen die AutorInnen Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall, wie auf der familiären Ebene die Nazivergangenheit der Großeltern zunehmend verharmlost und verdrängt wird, wie aus aktiven Unterstützern des Naziregimes heimliche Widerständler werden.
Die Verurteilung der braunen Vergangenheit auf öffentlicher Ebene fällt leicht. Aber – und gerade deshalb – sobald es in die Familien geht, ist das eine schwere Angelegenheit, unerträglich für viele. Denn die Menschen, die wir lieben, und von denen wir abstammen, dürfen am liebsten keine Makel haben, auf jeden Fall keine so schwerwiegenden wie die Beteiligung am mörderischen Nazisystem. Wie soll das für uns zusammengehen, Liebe und Verbrechen?
Wer sich mit der politischen Vergangenheit seiner Eltern und Großeltern in Deutschland beschäftigt, ist vor bitteren Erkenntnissen nicht gefeit. Glücklich diejenigen, deren Vorfahren nicht mitgemacht, der Diktatur widerstanden haben. Aber das kann nur eine Minderheit gewesen sein. […] ASTRID RÜHLE, Bedheim