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Archiv-Artikel

Delmenhorst ist nicht an allem schuld

Die Städtische Galerie Delmenhorst präsentiert eine exklusive Werkschau des großen Adoptivsohnes der Stadt als Dauerausstellung. In ungewöhnlicher Hängung zeichnet sie die ungewöhnliche Wandelbarkeit des Malers Fritz Stuckenberg nach. Nicht als Defizit, sondern als künstlerischen Prozess

Der Name ist immer noch keiner, den sich die Kunstwelt gemerkt hätte: Fritz Stuckenschmitt, ach nein, -berg. Geboren wurde der Maler 1881 in München. Aufgewachsen aber ist er in Delmenhorst. Und dort auch war er ab den frühen 20er Jahren gleichsam lebendig begraben. 1941 zieht er zum Sterben ins Allgäu. Der besseren Luft wegen. Drei Jahre später endet die Vita in Horn bei Füssen. Tod durch Tuberkulose.

Nahe läge der Schluss schon. Aber Delmenhorst ist gar nicht an allem schuld. Sicher, dass der Name Name Stuckenberg in Vergessenheit geriet, hängt offensichtlich auch mit seinem unwillig angetretenen Umzug vom damals pulsierenden Berlin in die provinzielle Oldenburgische Heimat zusammen. Noch Anfang der 20er Jahre werden seine Arbeiten in New York, Amsterdam und Moskau zusammen mit den Werken der Berliner Kollegen bewundert. Zehn Jahre später kennt den Maler niemand mehr. Aber hat nicht der Ruhm anderer Zeitgenossen deren Rückzug in rurale Gefilde bestens verkraftet?

Umgekehrt darf sich der Delmenhorst auf die Fahne schreiben, dass der Name Stuckenberg mittlerweile zumindest Spezialisten wieder geläufig ist: Seit fünf Jahren ist dem Verkannten dort ein eigenes Museum gewidmet. Am Samstagabend stellte Barbara Alms die gänzlich umstrukturierte Dauerausstellung im Haus Coburg vor. Und zugleich verkündete die Leiterin der Städtischen Galerie stolz, dass die 1997 begonnene hauseigene Sammlung in der Zwischenzeit auf 150 Arbeiten angewachsen ist: Rund die Hälfte des Gesamtwerks.

Der nun angeordnete Querschnitt umfasst die Jahre von 1920 bis zum Tode. Er gibt interessante Antworten auf die Frage, warum ausgerechnet Stuckenberg dem kunsthistorischen Gedächtnis entfallen ist. Und er beleuchtet die ambivalente Beziehung des Künstlers zu seinem heimatlichen Exil.

Zum Einen: Das Werk zeichnet sich aus durch extreme Unterschiede. Vorbilder wie Wassilij Kandinsky werden aufgerufen, Robert Delaunays Orphismus spielt eine Rolle. Es gibt unverhohlene, zitathafte Rückgriffe auf Gustav Klimt. Ein Epigone? Den naheliegenden und Vorwurf macht die Zusammenschau nachvollziehbar – nur um ihn umso entschiedener zu dementieren. Auch aus didaktischen Gründen extrem gedrängt, gibt sie Stuckenbergs eigene, einheitliche Handschrift im Heterogenen zu erkennen. So die schwingend harmonisierenden Linien. Die lassen farblich klar voneinander geschiedene Figuren – sei’s gegenständlich, sei’s rein geometrisch – doch zugleich auch miteinander verschmelzen.

Auchweist Barbara Alms durch ihre Hängung regelrechte Bild-Familien nach. Manchmal ziemlich kühn: So findet sich an einer Wand eine Art Turm. Übereinander gestapelt, von etwa 20 Zentimeter über dem Boden bis etwa 30 Zentimeter unter der Decke vier abstrakte Ortsansichten. Die jüngste von ihnen, ohne Titel, ist 1931 entstanden, die älteste, „Montmartre“, 1920 gemalt.

In ihnen offenbart sich ein ans Genre wie an eine eigenständige Sprache gebundenes Kontinuum. Innerhalb seiner Grenzen vollziehen sich die Veränderungen von Farb- und Formgebungen schrittweise ja zögerlich: Die kühleren Farben gewinnen an Fläche. Das Blau schwenkt vom einhüllenden ultramarin ins blässliche Azur. Zunehmende Distanz. Hier, so viel ist klar, artikuliert sich einer, der ganz auf sich zurückgeworfen ist. Den Anteil des Wohnorts an diesem schmerzhaften, aber produktiven inneren Prozess lassen einige späte Blätter ermessen. Die Stadt wird zum Sujet. Sie – Künstlers Rache – wird abgebildet. Scheinbar realistisch, doch ergänzt um atmosphärische Störungen. Die Misthaufen sind überscharf konturiert. Das Grün der Wiese – pures Gift. Und die Zäune hat der Maler, ganz unabhängig vom Fluchtpunkt, per Lineal gezogen: Zauberhaftes Delmenhorst. Benno Schirrmeister