: Der ganz geile Krach
Heute spielen die Lightning Bolts im Festsaal Kreuzberg, das Flaggschiff der US-amerikanischen Noise-Szene. Das Duo ist dafür berühmt, sich ins Publikum zu stellen und dann alles wegzublasen
VON ANDREAS HARTMANN
Man fühlt sich verloren, desorientiert, überfordert. Der Raum ist erfüllt von einem unfassbaren, alles niederwalzenden Krach, aber man weiß erst mal nicht genau, wo dieser überhaupt herkommt. Die Bühne schließlich ist leer, obwohl man ja auf einem Rockkonzert gelandet ist. Irgendwo mitten im Raum findet man dann das Auge des Orkans, auf gleicher Höhe wie das Publikum, einen Typ am Bass und einen am Schlagzeug, der eine Maske trägt, die ihn ein wenig an den Elefantenmenschen bei David Lynch erinnern lässt. Um sie herum ist alles Ekstase, Ausnahmezustand, man fühlt sich an Bilder eines aufgepeitschten Mobs erinnert, der gerade dänische Karikaturen verbrennt oder so etwas, nur sind die Vibes hier natürlich positiv.
So war es beim Auftritt von Lighting Bolt vor ungefähr fünf Jahren im kurzlebigen Central Club in der Nähe der Hackeschen Höfe. Es war eines dieser denkwürdigen Konzerte, von dem man sich noch heute erzählt. Wer dabei war, lebte fortan mit dem Gedanken, beim nächsten Mal unbedingt wieder mit dabei sein zu müssen. Und nun wird es tatsächlich wahr, Lightning Bolt kommen erneut nach Berlin.
Kein Konzert erwartet uns, sondern ein Happening. Wer immer noch nicht überzeugt ist, mag sich auf Youtube die unzähligen Videobeweise von Lightning Bolts Livequalitäten ansehen. Es sind immer dieselben Bilder von einem Schlagzeuger, der auf die Felle eindrischt, als hätte er mindestens vier Arme, und von einem Bassisten, der seine Saiten befingert, als würde er gerade an einem Eintrag ins Guinness-Buch der Weltrekorde arbeiten. Dazu springen Leute aus dem Publikum von den Decken und zucken herum, als ständen sie unter Starkstrom. Oder man sieht John Peel, der das Duo für eine Session ankündigt, und ein paar erstaunte Bedienstete, die sich erstaunt die Nase an der Glaswand des Studios platt drücken, als zwei relativ harmlos aussehende Typen mal so richtig loslegen.
Es ist die Effektivität der Vereinfachung, die bei Lightning Bolt so fasziniert. Gitarre, Schlagzeug, Bass bilden normalerweise die heilige Trinität des Rock’n’Roll. Diese drei Elemente sollen Authentizität und Urwüchsigkeit garantieren; keine weiteren Zutaten – vom Gesang abgesehen – mögen vom Wesentlichen ablenken. Das ist das AC/DC-Prinzip. Lightning Bolt arbeiten noch einfacher: Nimm zwei statt drei. Schlagzeug, Bass. Mehr nicht. Bis auf die Millionen Effektgeräte natürlich, die permanent zum Einsatz kommen. Der Bass von Brian Gibson, dessen vierte Saite durch eine Banjosaite ersetzt wird, klingt dank einer Batterie an Verzerrern immer anders, mal jaulend, mal unheilvoll rumpelnd, stets unglaublich treibend, immer unter dem Kommando gespielt: weiter geht’s. Und das, was Brian Chippendale hinter seiner Halloween-Maske in sein Mikro grunzt, ist auch alles andere als Gesang, sondern unverständliches, tausendfach verfremdetes Genuschel oder bellende Kommandos. Pur und rein ist hier also gar nichts.
Seit fast zehn Jahren gibt es Lightning Bolt inzwischen. Gerade mal vier Platten sind in dieser Zeit entstanden, die allesamt deutlich machen, dass das Duo zuvörderst eine Live-Band ist. Alle Platten klingen roh und danach, mit primitivsten Mitteln aufgenommen worden zu sein. Die Live-Energie sollte auf die Tonträger übertragen werden, was jedoch nur bedingt gelungen ist, das Körperliche dieser Musik, das Ackern und Sich-selbst-Verzehren, kommt einfach beim Konzert besser als daheim. Das Duo gehört inzwischen zur Speerspitze einer Noise-Szene in den USA, die nicht mehr bloß eine Sache für ein paar Freaks mit Interesse an Serienkillern oder forensischen Details ist, sondern eine größere Sache. Hierzulande dagegen ist dieser Noise immer noch mehr ein Gerücht. Das Label, bei dem Lightning Bolt angedockt sind, Load, hat in Deutschland nicht einmal einen Vertrieb. Dabei wurde Chippendale sogar für die letzte Platte von Björk gebucht. Björk ist ja bekannt dafür, immer die interessantesten Acts des Undergrounds für ein paar Wow-Momente in der eigenen Musik abzugreifen. Das hyperhektische Spiel von Brian Chippendale, der manchmal klingen kann wie ein Schlagzeugroboter, kam da gerade recht.
Verglichen werden Lightning Bolt gerne mit anderen Schlagzeug/Bass-Duos wie den Ruins aus Japan oder Godhead Silo. Wichtig waren auch Neunziger-Noisebands wie Unsane und die Tribal-Performancegruppe Crash Worship, die mit vier Schlagzeugern antrat und die wie Lightning Bolt ihre Konzerte als Rituale veranstaltete, Obst ins Publikum warf, die Bühne verließ und ebenfalls versuchte, Grenzen zwischen Betrachtern und Betrachtetem zu verwischen. Auch Sun Ra, der exzentrische Jazzer vom Saturn, ist Bezugspunkt für Lightning Bolt. Die Disziplin, die dieser von seinem Orchester abforderte, wie er es stundenlang bei Proben nach seiner Pfeife tanzen ließ, das, so haben die beiden Musiker des amerikanischen Duos einmal in einem Interview gesagt, hat sie schwer beeindruckt.
Denn eines ist trotz des Freakout und der ganzen Durchgeknalltheit von Lighting Bolt auch klar: ohne Üben, Üben, Üben wie Musikschüler kurz vor der Prüfung kriegt man so einen Derwischsound natürlich nicht hin.
Heute: Lightning Bolt, plus DJ Scotch Egg: 20 Uhr, Festsaal Kreuzberg