: Die Sache des Holzwegs
Beschäftigte machen Druck: Erste Streiks bei Tageszeitungen im Norden, überraschende Warnstreiks in der norddeutschen Metallindustrie
von KAI VON APPEN
Das kam für die Metall-Bosse überraschend: Obwohl Baden-Württemberg als „Pilotbezirk“ für die diesjährige Tarifunde auserkoren worden ist, kam es in der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie unmittelbar nach Ablauf der Friedenspflicht gestern zu Warnstreiks. Überdies sind gestern im Norden 400 Tageszeitungs-RedakteurInnen in unbefristete Streiks getreten, nachdem sich in einer bundesweiten Urabstimmung 95 Prozent für einen Arbeitskampf ausgeprochen hatten.
Eigentlich sollten im IG Metall-Bezirk „Küste“ die Warnstreiks erst nächste Woche beginnen. Doch dann legten bei DaimlerChrysler in Harburg, Still-Gabelstabler in Hamburg sowie bei Airbus in Stade die kompletten Nachtschichten die Arbeit für 30 Minuten nieder. Auch im Tarifgebiet Niedersachsen beteiligten sich die Nachtschichten bei Bosch in Salzgitter, VB Autobatterie in Hannover sowie Continental Teves in Gifhorn und Lacroix & Kress in Bramsche an kurzen Arbeitsniederlegungen.
IG Metall-Küste-Chef Frank Teichmüller forderte die Metall-unternehmer auf, wieder zum alten Verhandlungsstil zurückzukehren. Öffnungsklauseln für einen ungekündigtenTarifvertrag zur Vorbedingung für drei Prozent höhere Löhne zu deklarieren, sei in der Tarifgeschichte einmalig – und provoziere Gegenmaßnahmen. „Wir sind bereit, über flexiblere Arbeitszeiten zu reden, aber ein Diktat werden wir uns nicht gefallen lassen“, so Teichmüller: „Die Arbeitgeber sind auf dem Holzweg.“
Auch Niedersachsens IG-Metall-Bezirksleiter Hartmut Meine warf den Unternehmen vor, „Wasser zu predigen und selber Wein zu trinken. Während sich die Vorstände enorme Gehaltssteigerungen genehmigen, wollen sie die Beschäftigten mit einem Billigangebot abspeisen.“ Mittags waren die Aktionen auf Siemens und Toshiba in Braunschweig sowie auf Miele in Lehrte ausgeweitet worden. Insgesamt nahmen im Norden laut IG Metall 2.500 Beschäftigte teil.
Weniger überraschend ist es gestern auch bei Tageszeitungen zu unbefristeten Streiks gekommen. Vor allem Blätter in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind betroffen. So meldete die Gewerkschaft ver.di Streiks aus den Redaktionen von Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), Neue Presse, Göttinger Tageblatt, Nordwest Zeitung in Oldenburg sowie dem Weser Kurier und den Bremer Nachrichten. Bei den Nordlichtern wurden die Kieler Nachichten (KN) und die Lübecker Nachrichten sowie die Blätter des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags (Flensburger Tageblatt, Husumer Nachrichten, Schleswiger Nachrichten) bestreikt. In Hamburg befanden sich überdies die RedakteurInnen der Bergdorfer Zeitung im Ausstand.
„Wir werden die Umfänge nicht halten können“, sagte HAZ-Chefredakteur Wolfgang Mauersberger. „Der Bereich der Lokalnachrichten wird auf jeden Fall beeinträchtigt“, bestätigte Jürgen Heinemann, Chefredakteur der KN. Dies dürfte bei den Wochenendausgaben noch problematischer werden „Wir gehen davon aus, dass die unbefristeten Streiks Bewegung in die Verhandlungen bringen werden“, so Rüdiger Ewald vom Deutschen Journalistenverband (DJV). Die Zeitungsverleger streben beim Gehalt eine Nullrunde bis Juli 2005 an und wollen das Urlaubsgeld auf 75 Prozent und den Urlaub um fünf Tage kürzen.