: Kochen für ein Pferd
Totale Überwachung als Kehrseite des Effizienzwahns: Im Film „Kitchen Stories“, der heute im Zeise läuft, werden Junggesellen bei der Hausarbeit beobachtet, um die Rationalisierung der Einbauküchenproduktion voranzutreiben
Rationalität ist der moderne Mythos schlechthin. Ihre Praxis ist die Rationalisierung. Alles muss immer effizienter werden, zeitsparender klappen, reibungsloser funktionieren – ob in der Wirtschaft oder im Privatleben. Welches lächerlich einseitige Menschenbild dahinter steht, zeigt der Norweger Bent Hamer in Kitchen Stories. Und zwar nicht im mahnenden Tonfall des Bocksgesangs der Kritischen Theorie, sondern als kurzweilige Groteske.
Die Komödie ist im Schweden der 50er angesiedelt, in der Epoche der anbrechenden Konsumgesellschaft. Ein norwegischer Hersteller arbeitet gerade an der Rationalisierung der Küche. Nach umfangreichen Studien über die Arbeitsroutinen der Hausfrau sind nun die Junggesellen dran. In einem nordschwedischen Dorf nahe der Grenze werden zehn von ihnen in einem Langzeitversuch von Inspektoren im Alltag beobachtet. Die nehmen auf einem speziellen Hochsitz in der Küche Platz und notieren alles, was sich bewegt. Eine überdeutliche Zuspitzung: Totale Überwachung als Kehrseite des Effizienzwahns.
Der einzelgängerische Isak hat darauf von Anfang an keine Lust. Zu dem Experiment gemeldet hat er sich nur wegen der Belohnung, ein Pferd. Ihm ist Folke als Beobachter zugeordnet, eine schwächliche Kafkasche Angestelltentype. Und Isak schlägt Folke ein Schnippchen nach dem anderen: Er knipst ihm das Licht aus, meidet die Küche, kocht im Schlafzimmer darüber und beobachtet den ratlosen Beobachter schließlich selber, durch ein kleines Loch in der Decke. Da ihm strengstens verboten wurde, Gespräche mit dem Untersuchungsobjekt zu führen, muss Folke sich damit abfinden.
Dann kommen sich die beiden jedoch näher und begießen schließlich mit amerikanischem Schnaps die neue schwedisch-norwegische Freundschaft. Kommunikation setzt sich gegen die Vorschriften durch, gegen die Reduzierung des Menschen aufs Funktionieren, gegen die behavioristische Versuchsanordnung.
Kitchen Stories lebt hingebungsvoll den skandinavischen Hang zur Skurrilität aus. Der moderne Überwachungsstaat wird so ein wenig zur stilisierten 50er-Schnurre verniedlicht. Andererseits erinnert der Film gerade dadurch daran, dass die totale Kontrolle nicht etwa erst eine Errungenschaft des Computerzeitalters ist, wie im Sci-Fi oft suggeriert, sondern seit der Industrialisierung, spätestens dem Taylorismus und der Stechuhr in die Lebenswelt eindringt. Keine Erwähnung findet allerdings, dass die rationelle moderne Einbauküche (die „Frankfurter Küche“) schon 1926 von der österreichischen Kommunistin Margarete Schütte-Lihotzky erdacht wurde.
Jakob Hesler
Preview: heute, 20 Uhr, Zeise; offizieller Starttermin: 5.2.