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Archiv-Artikel

Nadelöhr für künftige Lehrer

Der Senat plant, 400 Stellen für Referendare zu streichen, obwohl der Lehrerbedarf ansteigt. Die nötigen Lehrer sollen zuwandern. Bildungsexperten befürchten dramatische Engpässe

VON ANNA LEHMANN

Ein Studienrat hängt in der Warteschleife – Robert Melzer, zukünftiger Mathe- und Physiklehrer, pausiert schon ein halbes Jahr. Seit der 26-Jährige im Oktober sein erstes Staatsexamen mit der Note 1,3 abgelegt hat, wartet er auf eine Referendariatsstelle. Die zweijährige Praxiserfahrung für angehende Lehrer ist Voraussetzung für die zweite und endgültige Examensprüfung.

Melzer hat doppeltes Pech: Erst beschloss der Senat im Dezember, die Einstellungstermine für Referendare von Mai auf August und von November auf Februar um je ein halbes Jahr nach hinten zu verschieben. Dadurch wird es in diesem Jahr folglich nur einen Termin, nämlich im August, geben, zu dem sich Melzer zusammen mit 2.000 weiteren Referendariatsanwärtern bewerben kann. Für sie werden 380 Stellen frei – noch.

Denn der zweite Streich folgte sogleich. Im Entwurf zum Doppelhaushalt 2004/05 wird eine Absenkung um je 200 Referendariatsplätze in diesem und im nächsten Jahr angepeilt. Dann blieben bloß 180 Plätze übrig. So sollen rund 4,5 Millionen Euro in die Landeskasse gespült werden.

„Misslich“, findet die bildungspolitische Sprecherin der SPD, Felicitas Tesch, dass die Plätze ausgerechnet im jetzigen Jahr der Terminumstellungen wegfallen. Ansonsten hält sie die Streichungen für durchaus gerechtfertigt, da Berlin über Bedarf Referendare ausbilde. „Misslich“, beurteilt auch ihre Amtskollegin von der PDS, Siglinde Schaub, die Situation. Als Bildungspolitikerin sehe sie einen Lehrermangel voraus, als Mitglied der Koalitionspartei sehe sie sich im Sparsachzwang.

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt davor, dass schon in zwei Jahren über hundert Lehrer fehlen könnten. Zahlen aus der Senatsschulverwaltung offenbaren, dass im Jahr 2006 rund 780 frei werdenden Stellen nur 660 fertig ausgebildete Lehrer gegenüberstehen. In den folgenden Jahren würde sich die Situation weiter zuspitzen, da infolge von Pensionierungswellen tausende neue Lehrer gebraucht würden, erklärt Matthias Jaehne von der GEW. Er kritisiert, dass die Kürzer nach dem Prinzip „Rasenmäher“ vorgingen und ungeachtet des tatsächlichen Bedarfs Referendariatsstellen wegsäbelten.

Beispielsweise gäbe es zu viele Deutschlehrer, doch in naturwissenschaftlichen Bereichen würden Lehrer händeringend gesucht. Dem ab 1. Februar geltenden neuen Schulgesetz zufolge soll die Stundenzahl in naturwissenschaftlichen Fächern für die PISA-schwachen Schüler der 5. und 6. Klasse erhöht werden.

Robert Melzer bräuchte sich also grundsätzlich keine Sorgen um seine berufliche Zukunft zu machen, nur muss er erst einmal durch das Nadelöhr Referendariat. Denn auch die Zahl der Stellen für Physik-Referendare wurde pauschal von 33 um vier gesenkt. Dem Argument des „Überbedarfs“ kann GEW-Bildungsexperte Jaehne nicht folgen: „Ein Überhang an Lehrern ergibt sich lediglich aus einer Erhöhung der Stundenzahl.“

Das räumt auch Rita Hermanns, Sprecherin von Schulsenator Klaus Böger (SPD), ein. Nach GEW-Berechnungen machte die Erhöhung der Pflichtstundenzahl im vergangenen Jahr auf einen Schlag 1.450 Lehrerstellen wett.

„Die Referendariatsstellen werden je nach Haushaltslage geplant“, erläutert Bögers Sprecherin die Grundpfeiler der Berliner Bildungspolitik. Im Hause des Schulsenators setzt man auf frei werdende Lehrer aus den neuen Bundesländern.

Diesen Hoffnungen misstraut Siglinde Schaub vom Koalitionspartner PDS. „Ab 2010 werden bundesweit Lehrer gesucht, dann wird Berlin auch keine Lehrer mehr von außen rekrutieren können. Die Entscheidung wird sich rächen.“

Robert Melzer plant vorsorglich in ein anderes Bundesland auszuwandern, sollte er im August wieder leer ausgehen.