Die Bewegung kann auch anders

Früher waren Nichtregierungsorganisationen betroffen und bewegt. Heute müssen sie pragmatisch und professionell sein. Nur wenige von damals haben den Wandel geschafft. Die „Werkstatt Ökonomie“ ist so eine. Sie wird in diesen Tagen 20 Jahre alt. Klaus Heidel war von Anfang an dabei

VON KATHARINA KOUFEN

Vor zwanzig Jahren war die Welt in gewisser Weise einfacher. Es gab die Bösen, und es war noch nicht die US-Regierung, die festlegte, wer böse war und wer nicht. Da hatte sich zum Beispiel gerade eine neue Regierung in Bonn an die Macht gehievt. Dick und bekennend konservativ. Andere Böse waren die Pinochets, Strössners und Videlas in Südamerika und natürlich das Apartheid-Regime in Südafrika. Und es gab die Guten. Das waren alle diejenigen, die das Böse bekämpften. Die Befreiungsbewegungen in Lateinamerika etwa oder der ANC (African National Congress) in Südafrika.

Hier in Deutschland solidarisierten sich die noch recht frisch politisierten Studenten mit den Kämpfern auf anderen Kontinenten, ebenso wie viele Alt-68er, die damals noch gar nicht so alt waren, linke Parteigänger und kritische Christen.

Einer von ihnen war Klaus Heidel, ein junger Mann mit „typischer Spät-68er-Biografie“, wie er heute sagt. Der Politik, Geschichte, Germanistik studiert hatte und als überzeugter Protestant über Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung nachdachte. Einmal im Monat trafen sich damals in Heidelberg um die 20 Christen in der ökumenischen Initiative „Katakombe“. Sie aßen gemeinsam zu Abend, diskutierten und beendeten den Abend mit einem Friedensgebet. Es war die Zeit des Rüstungswettlaufs zwischen USA und UdSSR, des Kalten Kriegs, des Nato-Doppelbeschlusses, der Friedensbewegung.

Über solches „links-ökonomische Philosophieren“ stießen Heidel und seine Mitdenker auf Südafrika und auf das Apartheid-Regime. „Wir wollten uns dagegen stark machen. Wir fragten nach der Bedeutung der bundesdeutschen Wirtschaftsbeziehungen zu Südafrika für das System der Apartheid“, erinnert sich Heidel. „Vor allem wollten wir wissen, wie sich die Unternehmen aus unserer Region, also Mannheim, Heidelberg, in Südafrika verhielten. Da kamen wir auf Daimler-Benz.“ Ein erster Schritt im Sinne des in den 80ern geborenen Slogans „Global denken – lokal handeln“.

Über Daimler fiel der kritische Blick auf „die Multis“ allgemein. Auf den schmutzigen Profit, den sie in Ländern mit Diktatoren, Folter und Rassismus machten. Die Aktionsgruppe um Heidel etablierte sich allmählich als „Werkstatt Ökonomie“. Thematisch lag sie im Trend: In den 80er-Jahren waren „die Multis“ das, was in den 70er-Jahren der Imperialismus gewesen war und wozu seit Mitte der 90er-Jahre die Globalisierung wurde. Das Reizwort, mit dem sich viele Übel dieser Welt erklären und die Massen mobilisieren ließen.

Die Werkstatt Ökonomie beteiligte sich an Kampagnen gegen Daimler-Benz. Zusammen mit dem „Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt“ lud sie deutsche Betriebsräte nach Südafrika ein und forderte Sanktionen gegen das Apartheid-Regime. Sie trat den „kritischen Aktionären“ bei, die auf den Aktionärsversammlungen von Daimler protestierten. Während viele Anti-Apartheids-Gruppen sich ziemlich hemmungslos mit dem ANC solidarisierten, der Befreiungsbewegung der Schwarzen und der Antirassisten, blieben die Werkstatt-Leute „eher distanziert“, so Heidel. „Diese Befreiungsbewegungen hatten für viele damals fast schon religiöse Züge“, erinnert er sich. „Man sah in ihnen so etwas wie die Befreier der Menschheit.“ Bewegungsforscher Dieter Rucht spricht in diesem Zusammenhang von „Ersatzidentifikation“, von „Verklärung“ und „Heroisierung“.

Klaus Heidel ist heute 51 Jahre alt, und die Werkstatt Ökonomie feiert dieser Tage ihren 20. Geburtstag. Mit 20 Jahren Abstand sieht man die Dinge differenzierter. Heidel erzählt: Die ANC-Verklärer seien damals entsetzt gewesen, als sie hörten, dass auch dort gefoltert und vergewaltigt wurde. Oder dass auch die Sandinisten in Nicaragua Machos waren, die mit Feminismus wenig am Hut hatten. „Das passte einfach nicht ins Bild.“ Kein Wunder, dass bald Verschwörungstheorien die Runde machten. Zum Beispiel diese: Es handle sich um Berichte der CIA. Doch dann erfolgte die Abkehr. Spätestens im Laufe der 80er-Jahre hätten viele Bewegte ihre Revolutionsphrasen aufgegeben und sich pragmatischeren Fragen zugewandt, sagt Rucht, Experte für Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Der Rettung des Regenwalds zum Beispiel. Nieder mit McDonald’s statt nieder mit dem Kapitalismus. Die Werkstatt Ökonomie spezialisierte sich auf wirtschaftliche Zusammenhänge zwischen Erster und Dritter Welt, wurde professioneller. „Am Anfang neigten wir zur Vereinfachung“, gibt Heidel heute zu. Die Mitarbeiter legten ein Archiv an, veranstalteten Seminare. „Am Anfang entstand unsere Arbeit spontan und zufällig. Mit der Zeit wurde sie immer systematischer und geplanter.“

In den 90ern nahm die Tendenz der NGOs zur Spezialisierung zu. Die Systemfrage war seit der Wende ziemlich out. Die Befreiungsbewegungen gab es entweder nicht mehr oder sie haben den Weg in die politischen Institutionen genommen wie die Tupamaros in Uruguay. Und viele der Leute um Klaus Heidel, die sich damals so stark von der offiziellen Bonner Politik abgrenzten, die Ethik und Moral predigten, sind heute selbst vom kritischen bis radikalen Rand in die Mitte der Gesellschaft gerutscht.

Die NGOs haben darauf unterschiedlich reagiert. Einige fristen ein Nischendasein und halten sich mit Unterstützung derjenigen über Wasser, die es zu Geld gebracht haben, aber nach wie vor ihr links-kritisches Gewissen befriedigen wollen. Andere sind ganz von der Bewegungsfläche verschwunden. Eine dritte Gruppe dagegen hat es geschafft und sich mit dem Zeitgeschehen gewandelt. Dazu gehört auch die Werkstatt Ökonomie.

Statt spontaner Aktionsgruppe versteht sie sich heute als eine Art moderner Dienstleister. Die Mitarbeiter erstellen gegen Bezahlung Studien, etwa zum Thema „Armut und Reichtum“. Auch beteiligte sich die Werkstatt Ökonomie an den viel beachteten „Social Watch Report“ über die Schere zwischen Arm und Reich. Die Mitarbeiter werden zu Expertenanhörungen im Bundestag geladen. „Die Entideologisierung hat vieles einfacher gemacht“, sagt Heidel heute. In den Ministerien ist man froh über die Expertise von NGOs. „Wir sind oft besser in einem Thema drin, schneller und billiger als die Behörden.“

Die Berührungsängste – der böse Staat auf der einen, die gefährlichen Außerparlamentarischen auf der anderen Seite – sind verflogen. Spätestens seit die Grünen mitregieren, sind die Fronten ohnehin aufgeweicht.

Die Entideologisierung habe auch dazu geführt, dass das Verhältnis zu den Partnern in den Entwicklungsländern „viel distanzierter“ geworden ist. „Pragmatischer“ und „professioneller“ arbeite die Werkstatt Ökonomie heute mit NGOs vor allem in Afrika und Asien zusammen, glaubt Heidel.

Einer der Erfolge der Heidelberger Alternativökonomen war die Einführung des Rugmark-Siegels für „faire“ Teppiche. Da ging es bereits nur noch darum, über die Macht der Verbraucher die Kinderarbeit in den Teppichknüpfereien einzudämmen – sonstige weltanschaulichen Argumente spielten keine Rolle.

Denn: Als Grundprinzipien gelten nicht mehr pseudoreligiösen Glaubenssätze, sondern die Menschenrechte.