„Ich sage Dean ein Comeback voraus“,sagt Benjamin Barber

Die Vorwahlen in den USA sind reine Unterhaltung. Die Medien blenden politische Inhalte konsequent aus

taz: Die Kür des liberalen Präsidentschaftskandidaten scheint gelaufen – John Kerry kann nichts mehr aufhalten.

Barber: Noch vor fünf Wochen galt Kerry als steif und ohne eigene Botschaft. Dean dagegen war der Mann der Stunde. Er galt als durchsetzungsstark, kämpferisch und konsequent. Wenn in zwei Wochen John Edwards gewinnt, werden die Medien ihn zum einzig wählbaren Kandidaten küren. Die US-Vorwahlen sind ein riesiges Theater. Es geht um Unterhaltung. Wandel ist alles, damit es nicht langweilig wird. Als Dean im letzten Jahr massive Unterstützung bekam, sprang die Presse auf den Zug und erklärte ihn zum einzig wahren Kandidaten, während sie Kerry als tumben Holzklotz brandmarkten. Plötzlich ist nur er wählbar.

Wieso ist Dean so abgestürzt?

Er war lange die Nummer eins. Seit er in den Umfragen vorne lag, droschen Presse und politische Gegner auf ihn ein, behaupteten, er stünde zu weit links, sei zu temperamentvoll. Sechs Wochen lang erlebten wir eine vernichtende Medienschelte. Das blieb nicht folgenlos.

Hat er sich mit seiner Wutrede nach der Niederlage ins politische Aus manövriert?

Sie hat ihm enorm geschadet. Aber noch mehr geschadet hat die Tatsache, dass das Fernsehen sie endlos wiederholte, selbst nach seinem guten Abschneiden in New Hampshire, wo er anschließend eine staatsmännische Rede hielt.

Sind die bislang im Wahljahr 2004 erlebten Schwankungen normal oder besonders?

Normal, aber verschärfter. Der Grund sind die Medien. Die Show muss 24 Stunden laufen – wäre es da nicht langweilig, wenn Dean von September bis Januar der Spitzenmann bleibt? TV und Radio haben ein immanentes Interesse, ein aufgeregtes, irrationales Rennen zu fahren, Kandidaten aufzubauen, dann zu Fall zu bringen. All das hat einen unmittelbaren Effekt auf die Wähler. Diese leben nicht unter einer Glasglocke und treffen ihre Entscheidung nur aufgrund persönlicher Meinungen. Bei Inhalten und Charakter, das zeigen Umfragen, bevorzugen die Wähler Dean. Bei der so genannten Wählbarkeit liegt Kerry deutlich vorne. Und dieses Thema ist von den Medien konstruiert.

Politische Inhalte spielen kaum eine Rolle?

Nein. Bestes Beispiel ist der Irakkrieg. Am Wahltag wurden sechs Amerikaner getötet. Doch die Mainstream-Medien haben entschieden, dass der Krieg im Wahlkampf wenn überhaupt, dann als Randnotiz stattfindet. Also blenden die Wähler ihn auch aus. Fakt ist, die Situation im Irak ist gefährlicher denn zuvor, der Ausblick ist düster, der Präsident hat nun nachweislich gelogen, sein eigenes Inspektionsteam hat zugegeben, dass Saddam Hussein über keine ABC-Waffen verfügte – jeder würde nun denken, dies sind brisante Wahlkampfthemen. Doch sie werden weitgehend ignoriert.

Ist es also unmöglich, den Wahlkampf mit einem deutlichen Antikriegskurs zu fahren?

Es ist nicht unmöglich, nur sehr schwer. Sollte es im Irak einen schweren Anschlag mit zahlreichen toten US-Soldaten geben, kann der Krieg wieder zum Top-Thema werden. Es ist jedoch sehr schwer für einen Kandidaten, von sich aus dieses Thema gegen den Medientrend zu besetzen. Was wir stattdessen erleben, sind Kandidaten – Kerry ist dafür ein gutes Beispiel –, die sich ständig neu der Medienkritik anpassen.

Dean versuchte, sich der Presse nicht gefügig zu machen?

Das war und bleibt eine seiner Stärken. Die Öffentlichkeit ist diesbezüglich in einer kuriosen Situation. Sie ist in ihrer Meinungsfindung durch die Medien beeinflusst. Gleichzeitig hat sie es satt, von der Presse gesagt zu bekommen, für wen sie zu stimmen hat. Wenn also Journalisten Dean nun bereits totsagen, könnte ihm das sogar nützen. Ich sage ihm ein Comeback voraus. Natürlich kommt Kerry sein „Momentum“ nach zwei Siegen zugute, doch dies ist nichts anderes als ein Code-Wort für den Einfluss der Presse, die immer gleiche Botschaft zu verbreiten, dass er ein Gewinnertyp sei.

Ist es nicht zu einfach, die Medien zum Sündenbock zu machen?

Sicher. Alles was ich sagen will, ist, dass die Medien von ihren Mutterkonzernen dominiert werden. Dean hat diesen Mega-Unternehmen und ihrem Einfluss den Kampf angesagt. Er hat korrekt festgestellt, dass die heutige Presse im Wesentlichen der Unterhaltung und nicht der Aufklärung dient. Dean wird als Bedrohung wahrgenommen. Es ist daher verständlich, dass zurückgeschossen wird. Insgesamt hat Dean viele unbequeme Wahrheiten ausgesprochen und wurde dafür bestraft, während Bushs Kriegslügen über die irakische Gefahr von der Presse nachsichtig behandelt werden.

Glauben Sie nicht, dass die Demokraten aus diesem größten Skandal der vergangenen Jahre in Washington noch politisches Kapital schlagen können?

Nur wenn sich die Situation im Irak dramatisch verschlechtert. Ansonsten dürfte Bush weitgehend ungeschoren davonkommen. Und die Medien haben daran ihren maßgeblichen Anteil. Wie oft sahen wir in den letzten Tagen den aufbrausenden Dean über den Bildschirm flimmern und wie selten Chef-Waffeninspektor David Kay Bush der Lüge überführen? Diese ungleich wichtigere Nachricht wurde ausgeblendet.

INTERVIEW: MICHAEL STRECK