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Archiv-Artikel

Ausprobiertes Leben

Von der Unmöglichkeit, in einer eigenen Welt zwischen Realität, Träumen und Vorstellungen eine Brücke zu schlagen: Thorsten Wilrodts „Schwimmköter“ in der Reihe „Neue Stücke für Jugendliche“ auf Kampnagel

Wir leben in hoffnungsvollen Zeiten. Im Fernsehen sehen wir, wie „Kermit“ Bush mit hochgezogenen Brauen dem Irak den Krieg erklärt, wir bekommen serviert, was sich in Selbstmord-Foren im Internet abspielt und staunen über eine deutsche Familie, die ihr Leben einer großen schwedischen Möbelkette verschrieben hat, für zwei Jahre nach Moskau geht (und sich wundert, dass sie sich dort nicht mit allen unterhalten kann – naja, wenn man auch partout kein Russisch lernen will ...), wo der pickelige, unkommunikative Sohn tags wie nachts vor dem Computer hockt und Ballerspiele spielt, wenn er nicht gerade wie seine Familie in besagtem Möbelhaus schuftet. Sieht es wirklich so aus, das Glück?

Dieses Setting hätte bestimmt auch Thorsten Wilrodt gefallen, Schauspieler, Autor und Regisseur, der nach seinem 2002 ebenfalls dort aufgeführten Erstling Lila nun sein neues Stück Schwimmköter auf die Kampnagel-Bühne bringt. Wilrodt, der für Text, Regie und Bühne verantwortlich ist, hat sich nämlich erklärtermaßen „Themen verschrieben, die für Erwachsene UND Jugendliche relevant sind.“

„Schwimmköter“ – „herumstreunende Fische, die in einem Glas schwimmen lernen“ – steht hier für Salah und Butt, dargestellt von Silke Steffen und Jörg Kleemann, zwei Geschwister einer verlorenen Generation, die alleine im Elternhaus leben. Der Vater ist tot, die Mutter ebenfalls irgendwohin verschwunden. Und obwohl die Geschwister alle Chancen nutzen, die ein Leben ohne Aufsicht bietet, ist es ihnen vorerst nicht möglich, in ihrer Welt zwischen Realität, eigenen Träumen und Vorstellungen eine Brücke zu schlagen. So probieren sie das Leben miteinander aus und bewegen sich dabei wie in einer selbst gezimmerten Blase, immer auf der Suche nach dem Glück.

Wilrodt, der für Schwimmköter und seine Theaterautoren-Arbeit das diesjährige Paul-Maar-Stipendium für Jugendtheater erhalten hat, inszeniert das Stück als Spiel auf mehreren Ebenen: Steffen und Kleemann agieren als zwei Menschen, die versuchen, mit den Figuren von Salah und Butt umzugehen und dabei jegliche moralische Bedenken vermeiden wollen. Sie bemühen sich einerseits um Identifikation, halten aber andererseits Distanz zu den Figuren, auch weil sie älter sind als die beiden dargestellten Geschwister. Sie brechen das ernste Szenario durch ihre Frisch-von-der-Leber-weg-Sprache, singen manchmal Lieder und erzählen auch schon mal Witze.

Der Bühnenraum, in dem sie sich bewegen, ist gleichzeitig Boxraum und Trockenaquarium, Außen- und Innenraum der rätselhaften Bruder-Schwester-Beziehung. Die alles beherrschende Frage ist: Werden sie sich am Ende freischwimmen können?

Barbara Schulz

Premiere: Mittwoch, weitere Vorstellungen 28.–30.3., jeweils 20 Uhr, Kampnagel, p1