: „Kino gehörte nicht zu unserer Kultur“
Südafrika bildet einen Schwerpunkt der bevorstehenden Berlinale. Aber wer geht zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid ins Kino – außer weißen Autobesitzern? Ein Gespräch mit Lungiswa Patricia Sithole und Brenda Davis, die in den Townships von Kapstadt das Molweni-Filmfestival veranstalten
INTERVIEW DOROTHEE WENNER
taz: Frau Sithole, Frau Davis, wenn man in Kapstadt ins Kino geht, hat man den Eindruck, dass sich in den Multiplexen der Innenstadt fast nur weiße Autobesitzer treffen.
Lungiswa Patricia Sithole: Wenn man wie ich in der Township Guguleto wohnt, dann lebt man knapp 30 Kilometer vom Stadtzentrum Kapstadts entfernt – und nur dort sind die „richtigen“ Kinos. Weil es aber vor allem abends keinen funktionierenden Nahverkehr gibt, muss man nach der Vorstellung ein Taxi nehmen – und damit kommen noch mal 50 Rand (circa 6,30 Euro) auf einen zu – zusätzlich zu den Kosten für die Eintrittskarten. Das macht jeden Kinobesuch für Leute aus den Townships zu einer echten Luxusangelegenheit, die sich kaum jemand leisten kann. Erst recht nicht, wenn man als junger Mann seine Freundin einladen will – oder eine Familie mit sechs oder mehr Kindern hat.
Brenda Davis: Ich glaube, man muss noch einen Schritt weiter zurückgehen, um unsere Situation zu verstehen. Vor 1994 – also vor dem Ende des Apartheid-Regimes – gab es in den Cape Flats, der Gegend um Kapstadt, in der hauptsächlich Schwarze und coloured people leben, nur ein einziges Kino in Athlone, das für uns offen und erreichbar war. Gespielt wurden da fast ausschließlich Kung-Fu-Filme, Bruce Lee und Western. In Johannesburg war die Situation etwas anders, da gibt es Kinos in den Townships, obwohl inzwischen viele in Kirchen umgewandelt worden sind. Aber für uns gehörte Kino einfach nicht zu unserer Kultur.
Wie sind Sie denn dann dazu gekommen, ein Festival in den Townships zu organisieren?
Lungiswa Patricia Sithole: Meine Mutter war früher Putzfrau in den Kinos der „Sterkinekor“-Kette, die auch heute noch die Multiplexe betreibt. Sie hat einmal im Jahr 20 Freikarten bekommen, in einem „Whites only“-Kino. Dort habe ich zum ersten Mal „Pink Panther“ gesehen. Das war nett, aber nicht gerade ein Schlüsselerlebnis. Für mich wurde es interessant, als Mitte der 90er-Jahre in den Kulturzentren der Townships junge Leute anfingen, mit Video zu experimentieren, erste eigene Filme über sich und ihre Umgebung zu drehen. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Community Video Education Trust (CVET), eine Art Filmschule für Townships. Dort bildete sich eine Gruppe von schwarzen Filmemachern – ich gehörte dazu –, die versuchte, mit dem Film- und TV-Markt Sithengi in Kapstadt Kontakt aufzunehmen. Dort hat man uns zunächst nur kleine Jobs angeboten, weil wir als Initiative kein Geld für einen eigenen Stand auf dem Markt hatten. Das erste Jahr standen wir fast nur am Fotokopierer, aber inzwischen klappt es viel besser mit der Unterstützung für unser Festival: Man kann uns nicht mehr ignorieren. Aber es wird noch eine Weile dauern, bis die weißen Zuschauer ganz selbstverständlich auch zu unseren Vorführungen in die Townships fahren.
Brenda Davis: Ich habe erst Kunst studiert und später in einer lokalen Radiostadion namens „Bush Radio“ gearbeitet. Anders als beim Malen und Radiomachen hatte ich schon beim ersten Dreh mit der Videokamera das Gefühl: Das ist mein Medium! Genau wie Lungiswa will ich Filme über mein Leben und das meiner Nachbarn machen. Inzwischen gibt es schon sehr viele schwarze Filmemacher, die Filme in den Townships drehen – für die Leute, die dort leben. Das sind genau die Filme, die wir auf dem Molweni-Festival zeigen.
Können Sie noch etwas genauer erzählen, worum es in den Filmen geht und nach welchen Kriterien sie ausgesucht werden?
Lungiswa Patricia Sithole: Es sind zumeist kurze Dokumentationen über soziale Themen, viele Porträts, zum Beispiel das über den Widerstandskämpfer Anton Frantsch, den kaum jemand gekannt hatte, bevor es den Film über ihn gab. Das ist mir persönlich auch am wichtigsten: die Geschichten von solchen Menschen festzuhalten, bevor sie sterben oder in Vergessenheit geraten. Für das Festival suchen wir Filme aus, die irgendeinen direkten Bezug zu unseren Zuschauern haben. Es sind kleine Produktionen, fast ohne Budget, aber zum Beispiel auch in Sprachen, die in den Townships gesprochen werden. Ich finde, dass diese Filme die Tradition des afrikanischen Geschichtenerzählens fortsetzen. Ob der Rest der Welt etwas damit anfangen kann, ist uns egal.
Brenda Davis: Es gibt aber auch eine Diskussion, ob unsere Filme nicht zu politiklastig sind. Vor allem jüngere Leute aus der happy generation haben einfach mehr Lust auf Komödien. Filme werden ja nicht unbedingt unpolitisch, wenn gelacht wird. Was jedenfalls fast alle Filmemacher nervt, ist die Tatsache, dass man an ausländische NGO-Gelder für Filmfinanzierung eigentlich nur dann herankommt, wenn es in den Filmen um Aids geht.
Das Molweni-Festival findet inzwischen in verschiedenen Townships statt. Müssen Sie viel Werbung machen? Oder spricht es sich herum, und die Leute kommen von selbst in Scharen?
Brenda Davis: Oh nein – es ist echt sehr schwer, so ein Festival aus dem Boden zu stampfen. Wir brauchten eigentlich Kinos, in denen kontinuierlich solche Filme laufen würden, unsere eigenen und auch andere, sorgfältig ausgewählte. Aber man muss ja irgendwie anfangen, und unsere Herausforderungen sind im Vergleich zu – sagen wir Berlin – wirklich anderer Natur. Das fängt damit an, dass wir mit großen Transparenten auf das Festival aufmerksam machen. Die werden aber gerne geklaut, weil immer wieder jemand auf die Idee kommt, den schönen Stoff als Regenplane zu benutzen.
Lungiswa Patricia Sithole: Wir werben vor allem in den Zeitungen, die gratis in den Townships verteilt werden, und in den lokalen Radiostationen. Die meisten unserer Zuschauer können ja nicht lesen und schreiben. Es ist wichtig, dass die Leute zu Fuß zu uns kommen können und dass sie keinen Eintritt bezahlen müssen. Aber vor allem kommt es darauf an, dass wir die nächste Generation ans Kino heranführen. Deswegen arbeiten wir eng mit Schulen zusammen. Für viele Ältere ist es echt schwer: schon allein, weil viele Leute bei uns chronisch übermüdet sind, ganz einfach, weil sie kein eigenes Bett haben. Deswegen können wir auch keine langen Filme zeigen, da schlafen uns die Leute ein.
Im Vergleich zu 1999, als Molweni zum ersten Mal stattfand, ist das Festival gewachsen. Wie könnte das weitergehen – welche Pläne haben Sie?
Brenda Davis: Oh! Ich wünsche mir, dass Molweni in ein paar Jahren in Fußballstadien stattfindet. Und unsere Filme wären so beliebt, dass diese Stadien regelmäßig ausverkauft wären.
Hinweis: LUNGISWA PATRICIA SITHOLE (geb. 1964) arbeitet für das Molweni-Festival und ist Filmemacherin. Brenda Davis (geb. 1971) ist Kamerafrau und beim Festival als Koordinatorin aktiv. Beide nehmen zurzeit an einer Fortbildung der Deutschen Welle für afrikanische Filmfestivalmacher teil. Dorothee Wenner koordiniert die Zusammenarbeit mit der Berlinale.