„Das ist nicht die Lösung“

Kifah Al-Turaihi ist Irakerin und eine entschiedene Gegnerin des Regimes von Saddam Hussein. Am gestrigen Tag X ging sie trotzdem demonstrieren

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Etwas fahrig fügt sie die schwarze Stoffbahn an die weiße. Für diesen Tag, den Tag X, hat sie ihre Nähmaschine namens „Viking“ mit zum irakischen Kulturverein Al Rafidein e. V. in Neukölln gebracht. Kifah Al-Turaihi hat kaum geschlafen. Ihr Chef in einem Berliner Labor war informiert. „Wenn’s losgeht, hab ich schon vorher angekündigt, kann ich nicht arbeiten“, sagt die Chemieingenieurin aus Bagdad.

Seit acht Jahren lebt sie in Deutschland, seit einiger Zeit ist sie die Vorsitzende des eher weltlich orientierten irakischen Kulturvereins in der Sanderstraße. „Ich weiß, wie das ist“, sagt sie und meint diese lähmende Angst. Denn 1991, als Bush seniors Bomben auf ihre Stadt prasselten, lebte sie noch mitten in Bagdad. Schlimm war es, dieses ständige Gucken in die Luft, ob was kommt. „Ich hab schließlich nur noch die Vögel beobachtet. Ich hoffte die Tiere sind sensibel, die merken, wenn was ist.“ Gestern morgen um 4 Uhr hat sie erst die Nachrichten gehört und dann sofort die Schwester in Schweden angerufen.

Immer wieder suchen ihre nervösen Finger den Faden der Stoffbahnen. Die Fahne soll abends pünktlich fertig werden - zur großen Tag-X-Demo. Es ist die alte irakische Flagge, rot-weiß-schwarz mit drei islamisch-grünen Sternen. Auf der Flagge des verhassten Saddam-Regimes prangt in der Mitte, zusätzlich, in der Handschrift des Diktators geschrieben der Schriftzug „Allah-u aqbar“ – Gott ist allmächtig. „Wir wollen seine Handschrift nicht auf unserer Fahne“, erklärt Kifah. Ein Akt der Säuberung, also. Ob er gut tut?

„Wir wollen diesen Diktator nicht mehr.“ Dieser Mann, meint sie erst etwas zurückhaltend, konnte doch nur so lange an der Macht bleiben, weil wir ständig diese Kriege führten. Es ist doch kaum vorstellbar, redet sich Kifah schnell in Rage und gestikuliert dabei, dass ein solcher Mann ein so gebildetes Volk wie die Iraker so lange unterdrücken kann.

„Wir wären ihn losgeworden …“ sagt sie, dann klingelt wiederholt das Telefon. Am anderen Ende ist eine islamische Organisation, die die Vereinsmitglieder zu einer gemeinsamen Veranstaltung einlädt. Mal sehen, sagt Kifah, ob wir Zeit haben. Islamische Verbrüderung ist nicht ihre Sache.

Natürlich, antwortet sie ungeduldig, habe sie Verwandte im Irak, sogar mitten in Bagdad. Ihr Bruder, seine Frau und drei kleine Kinder. Was Kifah immer unruhiger werden lässt, ist die Stille. Schon mehrere Tage lang hat sie nichts mehr von der Familie gehört. Na ja, tröstet sie sich, sie sind sicher zu Hause. Der Bruder wollte Bagdad nicht verlassen. Wohin auch gehen? Sich irgendwo einquartieren? Zu astronomischen Mieten?

„Ich hoffe, sie sitzen zu Hause, gucken Fernsehen. Krieg ist keine Lösung.“ Sie vollendet die Naht zur schwarzen Bahn. Das hätten die Iraker schon 1991 bitter zur Kenntnis nehmen müssen, „als die Amerikaner uns im Stich ließen“. Alle, alle seien damals demonstrierend auf die Bagdader Straßen gegangen, auch Kifah – „Ich war sicher, jetzt sind wir Saddam los“. Dann die Enttäuschung. „Ich kann den Amerikanern nicht vertrauen“, sagt sie und wiederholt es noch oft. „Sie können quatschen, wie sie möchten, ich glaube ihnen nicht.“ Dann ist Kifah eine Weile still, sie überlegt, ob man so etwas jetzt sagen darf, dann winkt sie ab. Egal. Heute ist alles egal, es ist Krieg, und es geht um alles.