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Archiv-Artikel

Die Wiederkehr der Bratwurst

HSV verliert in Mönchengladbach 0:2 und seine mitgereisten Fans werden am Ende mit „St. Pauli“-Sprechchören gequält. HSV-Trainer Kurt Jara hatte die Niederlage schon in der Pause kommen sehen. Wenig Druck trotz vieler Stürmer

„Ich war sicher, eine Standardsituation würde die Partie entscheiden“

von THORSTEN KELLER

Wir müssen uns Marcello Pletsch als unglücklichen Menschen vorstellen. Jedenfalls als er am vergangenen Montag eine Kölner Boulevardzeitung aufschlug: „Borussia Bratwurst“ brüllte es dem Mönchengladbacher Verteidiger nach dem erbärmlichen 1:4 in Bielefeld entgegen. Das Blatt hatte zudem die Köpfe von Pletsch, Max Eberl und Jeff Strasser kunstvoll auf drei kross gebratene Würstchen montiert.

Wir müssen uns Marcello Pletsch als glücklichen Menschen vorstellen. Jedenfalls am Samstag gegen 16.40 Uhr. Nach der ersten Gladbacher Ecke in der zweiten Halbzeit kommt Pletschs Kollege Sladan Asanin aus fünf Metern zum Kopfball, HSV-Keeper Martin Pieckenhagen reagiert blitzschnell, kann das Leder aber nur abklatschen. Der Abpraller fällt Pletsch vor die Füße. In seinem 99. Pflichtspiel für Mönchengladbach erzielt Pletsch – der Inbegriff eines zähen „Zerstörers“ auf dem Fußballplatz – sein erstes Tor.

Der Halb-Brasilianer jubelt wie entfesselt über seinen Treffer, durch den sich Gladbach zunächst von einem Abstiegsplatz entfernt. HSV-Trainer Kurt Jara hatte das 1:0 für die Gastgeber kommen sehen. In der Pressekonferenz nach dem Spiel beklagte er, seine Mannschaft habe ihre optische Überlegenheit vor dem Seitenwechsel nicht genutzt. „Ich war mir in der Pause ziemlich sicher, dass eine Standardsituation, egal auf welcher Seite, die Partie entscheiden würde.“ Bis zum Gladbacher Führungstreffer hatten 30.500 Besucher auf dem Bökelberg ein unansehnliches Spiel erduldet.

Romeos platzierter Kopfball nach einem Freistoß von Mahdavikia war dabei aus Hamburger Sicht noch der größte Aufreger. Für die Statistik bleibt interessant, dass sich kurz vor der Pause zwei Hamburger Spieler (Cardoso und Jacobsen) in 60 Sekunden Gelbe Karten abholten, weil sie den wuseligen Marcel Ketelaer, die HSV-Leihgabe im Gladbacher Trikot, umgesenst hatten. Kurz nach dem 0:1 erarbeitete sich der HSV nur noch eine hundertprozentige Chance (Cardosos Direkt-abnahme aus 16 Metern), die Gladbachs Torwart Jörg Stiel akrobatisch zur Ecke abwehrte. Dann war Feierabend für Cardoso und Kurt Jara schickte mit Naohiro Takahara einen weiteren Stürmer aufs Feld. Noch ehe der Japaner den Ball berührte, lag der HSV allerdings 0:2 hinten. Ketelaer hatte nach einem Konter den Finnen Mikael Forssell freigespielt, der Pieckenhagen elegant umkurvte und den Ball ins Tor schob. Auch mit vier Stürmern entwickelte der HSV danach nur noch wenig Druck.

In den letzten Spielminuten quälten Gladbacher Fans den HSV-Anhang mit „Sankt-Pauli“-Sprechchören. Gladbachs Trainer Ewald Lienen äußerte sich in der Pressekonferenz „zufrieden mit der kämpferischen Leistung der Mannschaft“. Ausschweifende Statements zur Weltlage hatte der friedensbewegte Übungsleiter diesmal nicht auf dem Zettel.