: Börse bleibt konventionell
Die Deutsche Börse hat umgebaut: Ab heute gibt es neue Indizes. Der Neue Markt ist Geschichte, der Nemax 50 wird für eine Übergangszeit weiterberechnet und voraussichtlich Ende 2004 eingestellt
9-6-9-4. Das sind nicht die Anfangsziffern einer Telefonhotline, das ist der historisch höchste Punktestand des Börsenbarometers Nemax 50 vor ziemlich genau drei Jahren, am 10. März 2000. Erst 1997 war er mit höchsten Erwartungen als Wachstumssegment ins Leben gerufen worden. Am vergangenen Freitag lag dieser Punktestand um die Mittagszeit bei kaum mehr als 350. Darüber wird man sich künftig nicht mehr beklagen können, denn der Nemax wird ebenso wie das einst hochgejubelte Segment Neuer Markt, das ihn nährte, abgeschafft. Dies ist der Kern einer Neustrukturierung der Aktienindizes der Deutschen Börse AG, die heute in Kraft tritt.
Doch auch dem DAX selbst, dem Index, in dem die 30 größten deutschen Unternehmen an der Börse gelistet sind, ging es bekanntermaßen schon lange nicht mehr gut. Erst im Februar sackte er auf ein historisches Tief von weniger als 2.500 Punkten, und damit auf den Stand von 1996. Die Baisse, das heißt der Niedergang der Aktienwerte, währt international seit nunmehr drei Jahren – die „längste Abwärtsphase in der Geschichte der Börsen“, heißt es in einem Bericht der Commerzbank. „Je tiefer die Kurse sinken, desto niedriger werden die Kursziele gesteckt – die Baisse nährt die Baisse.“ Das nennt man auch börsenpsychologische Effekte.
Eher psychologisch geht es auch bei der Umstrukturierung zu. Damit wolle man wieder Ruhe, Vertrauen und Transparenz an die Börse bringen. Seit 1. Januar unterliegt die Frankfurter Deutsche Börse einer neuen Börsenordnung, heute ist Handelsstart der neuen Indexfamilien, und die Änderungen treten damit in Kraft. Ein Index ist dabei nichts anderes als eine rein statistische Kennziffer, die auf einer repräsentativen Auswahl von Aktien beruht. Er spiegelt das tägliche Auf und Ab von Kauf und Verkauf an der Börse.
General Standard
Das Basissegment der Deutschen Börse heißt jetzt General Standard. Die darin enthaltenen Aktien müssen lediglich die gesetzlichen Mindestanforderungen für den Handel erfüllen, beispielsweise ihren jährlichen Geschäftsbericht abliefern. Dort ist automatisch eingestuft, wer lediglich an einem preiswerten Listing interessiert ist und damit hauptsächlich nationale Investoren anspricht.
Prime Standard
Wer etwas auf sich hält – und bereit ist, dafür eine jährliche Notierungsgebühr von 10.000 Euro zu zahlen –, beantragt die Zulassung in den Prime Standard. Er gilt als neues Qualitätssegment der Börse. Doch die Hürden sind nicht eben trivial, und die Aufnahme ist mit Folgekosten verbunden. Die Firmen unterliegen strengen Normen in Sachen Transparenz und Publizität: Gefordert sind beispielsweise Quartalsberichte, Einhaltung international vergleichbarer Standards bei der Bilanzierung (US-GAAP oder IAS), eine jährliche Analystenkonferenz sowie Ad-hoc-Meldungen sowohl in Deutsch als auch in Englisch. Nur wer im Prime Standard aufgenommen ist, wird künftig in einem der Auswahlindizes abgebildet; Porsche also nach wie vor nicht, weil der Autohersteller sich seit je weigert, Quartalsberichte abzuliefern.
An der Spitze des Prime Standard steht unverändert der Deutsche Aktienindex DAX mit den 30 größten börsennotierten Unternehmen. Schwergewicht darin ist Siemens (Anteil: 12,11 Prozent), gefolgt von Deutscher Telekom (9,84 Prozent), Eon (9,29), Deutscher Bank (8,85) und DaimlerChrysler (8,70; Stand jeweils 14. März 2003).
DAX und die X-Familie
Unterhalb des DAX unterscheidet die Deutsche Börse nach klassischen Branchen und Technologiewerten. Für den klassischen Bereich (etwa Medien, Pharma, Finanzen) berechnet sie den MDAX, der von 70 auf 50 Werte verkleinert wird. Unmittelbar daran schließt der SDAX an mit 50 kleineren Werten der Klassiker.
Der andere Zweig des Prime Standard heißt künftig TecDAX. Er schließt nahtlos an den bisherigen Nemax 50 an und gilt als dessen auf 30 Unternehmen verkleinerter Nachfolger. Darin sind jetzt jedoch ausschließlich Technologiewerte enthalten, darunter auch die drei Windkraftunternehmen Plambeck Neue Energien AG, Repower Systems AG und Nordex AG, bislang am Neuen Markt gehandelt. Der Nemax 50 mit den 50 größten Technologietiteln unterhalb des DAX wird vorerst parallel zum TecDAX berechnet, um die „Kontinuität der darauf abgestellten Finanzprodukte zu gewährleisten“, wie es in einer Mitteilung der Deutschen Börse heißt. Er wird jedoch voraussichtlich Ende 2004 eingestellt.
Erhalten bleibt unverändert der CDAX (Composite DAX). Er misst die Entwicklung des gesamten deutschen Aktienmarktes und umfasst alle im General und Prime Standard aufgeführten deutschen Titel. Damit lässt sich die Entwicklung der künftig 18 statt bisher 16 Branchenindizes von „Automobil“ über „Medien“ bis „Versorger“ vergleichen. Die Branchenindizes wiederum sind in mehr als 60 Gruppen (Industry Groups) unterteilt, „Automobil“ beispielsweise in „Hersteller“ und „Zulieferer“.
Neu ist, dass alle Indizes unterhalb des DAX jetzt ausländischen Unternehmen offen stehen. Der SMAX mit kleinen und mittleren Firmen verschwindet ersatzlos. Der bisherige DAX 100 wird ersetzt durch den HDAX, der quer durch alle Prime-Branchen künftig den DAX 30, MDAX und den TecDAX vereint.
In einem dieser Indizes gelistet zu sein ist sowohl für Unternehmen als auch für Investoren bedeutsam: Firmen liegen häufig im Blickfeld der Medien, was sie öffentlich präsent macht und ihnen die „Kommunikation“ erleichtert – mithin die Selbstdarstellung nach außen. Investoren hingegen haben diese Unternehmen auf ihrem Radar des Anlageuniversums – eine unmittelbare Folge der häufigen Präsenz. Das wiederum erleichtert aber bei einiger Aufmerksamkeit auch die Überprüfung von Firmenangaben.
Änderung für Anleger
Für Privatanleger ändert sich allein durch die neue Sortierung vorerst überhaupt nichts. Alle Titel werden weiterhin gehandelt. Ab 2005 würden Eigentümer von Nemax-Zertifikaten „automatisch zum Eigentümer eines TecDAX-Zertifikats“, weiß die Zeitschrift Finanztest. Einige Anbieter wollen jedoch womöglich am Ende der Schonfrist die Anleger auszahlen, wobei Einzelheiten in den jeweiligen Anlageprospekten detailliert geregelt sein müssen. ANDREAS LOHSE