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Archiv-Artikel

Wulff wurschtelt weiter

Ein Jahr nach dem Wahlsieg in Niedersachsen: Schwarz-Gelb hat den Nordwesten umgekrempelt wie keine Regierung zuvor – sagen CDU und FDP. Ein unsozialer, obrigkeitsstaatlicher Wind weht durch Niedersachsen – meinen SPD und Grüne

Aus Hannover Kai Schöneberg

„Hannover (dpa) – In der Aussprache über die Regierungserklärung kam es im Landtag zu einem Streit über die Wahlversprechen sowie über die Finanzen des Landes. Die Opposition warf der Landesregierung vor, sie habe die Ankündigung, in großem Stil neue Lehrer einzustellen, nicht erfüllt“. So war‘s im Juni 1990, als SPD und Grüne Regierungschef Ernst Albrecht (CDU) in die Wüste schickten.

So war‘s 2003 – nur noch schlimmer für die SPD: Die warf Kultusminister Bernd Busemann (CDU) in den vergangenen Monaten zwar immer wieder vor, es gebe gar nicht wie versprochen 2.500 neue Lehrer. Hatte die SPD Gerhard Schröders jedoch einst vor allem wegen der verschlissenen Landes-CDU gewonnen, siegte Christian Wulff am 2. Februar 2003, also fast genau vor einem Jahr, gleich aus drei Gründen: Die Leute hatten genug von SPD-Filz, vom Hü und Hott Sigmar Gabriels – und natürlich vom Kanzler-Kurs in Berlin. Nach 13 Jahren in der Opposition hat Schwarz-Gelb den Nordwesten umgekrempelt wie keine Regierung zuvor – sagen nun CDU und FDP. Ein besonders unsozialer, obrigkeitsstaatslicher Wind wehe durch Niedersachsen – meinen da SPD und Grüne.

Immerhin war es Wulffs Jahr. Der einstige CDU-Bezirkschef aus Osnabrück zog 2003 endgültig an Hessens Roland Koch zur stillen Nummer zwei der Bundes-CDU vorbei. Gleichzeitig versuchte er, sich durch Nicht-Anecken und „Verlässlichkeit“ von Vorgänger Gabriel abzusetzen. Die Kritik an den radikalen Kürzungen im Landeshaushalt prasselt derweil auf seine Ressortchefs nieder. Bei einem Besuch in Braunschweig musste sich Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) vor handgreiflichen Studis in die Uni-Katakomben flüchten. Höchst fraglich bleibt indes, ob sein „Hochschuloptimierungskonzept“ Niedersachsens Unis kaputtspart – oder doch Ballast abwirft. Angekündigt hatte die CDU aber eigentlich, Akzente gerade in der Bildung zu setzen.

Fraglich bleibt auch, wieso Wulff Stratmann derart unter den 40 Millionen Euro-Kürzungen im Hochschuletat des Jahres 2004 ächzen lässt, während Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) kürzlich mir nichts, dir nichts 480 Millionen Euro aus dem Haushalt zauberte, um erwartete Steuerausfälle auszugleichen.

Und auch das ist gleich geblieben: Trotz großer Spar-Schwüre hat Möllring im vergangenen Jahr 2,85 Milliarden Euro neue Schulden gemacht – nur 100 Millionen weniger als die SPD 2002.

Viel hat sich im Land am Weiterwurschteln unter dramatischen Etatzwängen also nicht geändert – außer in der Schulpolitik (Abschaffung der Orientierungsstufe, Kopftuch-Verbot) und im Sicherheitsbereich. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) steht aber nicht nur wegen der neuen Telefonüberwachung ohne konkreten Verdacht in der Kritik. Gegen seine Verwaltungsreform bildet sich derzeit eine Front aus Betroffenen, Bürgermeistern, Opposition und Presse, die von der Abschaffung der Bezirksregierungen Verwaltungstourismus und Zentralisierung erwarten.

Auch Kabinettstar Ursula von der Leyen, Tochter des einstigen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, steht unter Druck. Die Proteste gegen Kürzungen beim Blindengeld, bei den Aids-Hilfen oder Behinderten fielen noch maßvoll aus. Ursula von der Leyen muss derzeit einen eigentümlichen Spagat bewältigen. In einer Regierung Merkel wäre sie vielleicht Ministerin, zu Hause muss sie sich wegen ihres Abteilungsleiters Ernst Bruckenberger verantworten: Der „Klinik-Papst“, der ihre Krankenhausreform ausarbeitete, hatte in diesem Sektor im Land tätige Konzerne beraten. Jetzt wird „geprüft“: Alle Ausgaben im Klinikbereich in den vergangenen zehn Jahren – also auch die zu SPD-Zeiten.

Wirklich schwer tun sich die FDP-Ressortchefs. Während der ungestüme Umweltminister Hans-Heinrich Sander spätestens als Achillesferse der Koalition gilt, seit er mit einem „Kerngesund“-Shirt im Schacht Konrad posierte, zeigt sich Wirtschaftsminister Walter Hirche letztlich machtlos. So protestierte der Liberale lange und vergeblich gegen den Wegfall von so genannten GA-Mitteln für das einstige Zonenrandgebiet. 80 Millionen Euro werden den Regionen also in diesem Jahr fehlen – leider Geld aus Berlin und Brüssel. Weiter tönte Hirche, das Maut-Desaster gefährde in Niedersachsen 2.400 Jobs – um dann zugeben zu müssen, dass diese Gelder vom Bund ohnehin nicht einklagbar seien.