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Archiv-Artikel

village voice Zwischen hohem Nervfaktor und Popseligkeit: Ellen Aliens Album „Berlinette“

Alles super, alles Berlin

„Stadtkind“ hieß Ellen Alliens erstes Album, das neue hört auf den Titel „Berlinette“. Ellen Allien scheint nicht loszukommen von der Stadt, von Berlin. Aufgrund ihres Jobs als weltberühmte DJ ist sie dauernd unterwegs, aber am schönsten scheint es auch weiterhin daheim zu sein. Da können andere noch so sehr über das Clubsterben in dieser Stadt jammern, und darüber, dass es auch schon mal aufregendere Zeiten gegeben haben soll, Ellen Allien wird nicht müde, andauernd zu verkünden, dass es nirgendwo da draußen eine so gut funktionierende Clubszene gäbe wie hier.

Für sie ist Berlin keine Stadt, die sich in unterschiedliche Szenen segregiert. Tresor, WMF, die nur freitags geöffnete Wohnzimmerbar, das ist für sie alles eins. Sie stellt sich auf die Spitze des Fernsehturms, überblickt die Lage und alles gehört zusammen. Compilations, die sie auf ihrem eigenen Label Bpitch Control herausgebracht hat, subsumierten ebenfalls unter dem Stichwort „Berlin“ die unterschiedlichsten Spielarten elektronischer Musik, die in dieser Stadt gewachsen sind. Techno von Paul Kalkbrenner, die ersten Lebenszeichen von Mia und ein Ohrwurm von Barbara Morgenstern: alles super, alles Berlin, alles muss zusammenwachsen.

Die Lieblingswörter von Ellen Allien heißen dann auch „Kommunikation“ und „Freundschaft“. Dieser Ansatz, diese Mischung aus „gib mir alles!“ und „Ich steh auf Berlin“ durchzieht nun auch „Berlinette“. Hier geht es drunter und drüber und Genregrenzen werden konsequent ignoriert. Ein Stück kommt mit trancigem Techno daher und im nächsten mischen sich schon wieder astreine Metallgitarren in das Soundgeschehen. Ellen Allien singt entweder auf Deutsch, Englisch oder Denglisch. „Where is wo, wo is where, wer ist wo, wo is when“, wird da plötzlich heftigst alliteriert. Gegen Gedichte hat Ellen Allien nichts einzuwenden, Poesie, sagt sie frei heraus, ist wichtig.

Ellen Alliens Stimme ist nicht viel mehr als ein Baustein der einzelnen Stücke, ein zusätzlicher Soundeffekt. Extrem verfremdet und zerhackstückelt lassen sich ihre Worte kaum noch als Gesang definieren, sie sind lediglich ein Teil einer ziemlich überdrehten Collage. Menschen vom Fach würden sagen: Das erinnert ein wenig an die derzeit ziemlich angesagte Spielart elektronischer Musik mit dem Namen Microhouse.

Ellen Allien, die ursprünglich aus dem straighten Techno kommt, aber viel zu begeisterungsfähig und offen ist, um irgendwo stecken zu bleiben, hat sich oft zu ihrer Vorliebe für Barbara Morgenstern und einem weiteren Act aus Berlin, Laub, bekannt. Vor allem an Letztere erinnert sie nun selbst mit ihrem konsequenten Drang zum Experiment und ihrem eigenwilligen Einsatz von Stimme. War „Stadtkind“ noch ein wenig originelles Technoalbum mit Popsprenkeln, so ist „Berlinette“ ein regelrechtes Freak-Out-Album zwischen extrem hohen Nervfaktor und kuscheliger Popseligkeit geworden. Eine Platte, wie sie wahrscheinlich nur in Berlin entstehen kann. Das ist natürlich das höchste Kompliment, das man Ellen Allien kredenzen kann.

ANDREAS HARTMANN

Ellen Allien „Berlinette“ bei Bpitch/Zomba