Bärendienst für den Primus

Start der taz-Serie „Deutschland trainiert für Olympia“. Heute: Warum Hamburg, der Erste der NOK-Evaluierung, immer noch Letzter werden kann – dafür aber selbst Stuttgart noch Chancen hat

von FRANK KETTERER

Es geschah in feierlichem Ambiente und bei festlichster Stimmung, so wie es eben ist, wenn der Bundespräsident zu sich nach Hause lädt. Die fünf Oberbürgermeister der deutschen Bewerberstädte für Olympia 2012 samt ihrer kleinen Entourage hatte Johannes Rau vergangene Woche im Schloss Bellevue antanzen lassen, was er ihnen dort mitzuteilen hatte, war durchaus ernster Natur: Rau mahnte die Städte im Ringen um die Ringe eindringlich zu Fairness und gegenseitiger Achtung. „Die große Zustimmung in allen Teilen unseres Landes ist eine wesentliche Voraussetzung, dass die deutsche Bewerbung im Jahr 2005 erfolgreich sein kann“, sagte der Bundespräsident. Im Sommer 2005 kürt das IOC die Olympiastadt für die Spiele 2012, möglichst aussichtsreich ins Rennen soll dann auch eine deutsche Metropole gehen.

Doch das ist derzeit noch nicht einmal das Problem, so weit ist Deutschland noch gar nicht. Die Sorge, die den Bundespräsidenten vielmehr umtreibt, ist, dass die fünf deutschen Bewerber – Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart – sich schon im Vorkampf gegenseitig aufreiben könnten, bisweilen war gar von Schlammschlacht die Rede, die im nationalen Schlussspurt zu befürchten sei. Bis 12. April dauert dieser an, dann entscheidet in München das NOK für Deutschland, welche deutsche Stadt es für würdig befindet, sich der namhaften internationalen Konkurrenz zu stellen. „Wir haben fünf erstklassige Bewerbungen. Jede Stadt wäre in der Lage, die Spiele durchzuführen“, frohlockt derweil Dr. Klaus Steinbach, Präsident des NOK.

Das ist, wenn’s denn so sein sollte, natürlich schön für Deutschland – andererseits aber auch ziemlich genau das Problem. Und dokumentiert wird dieses ausgerechnet im 60 Seiten umfassenden Evaluierungsbericht über die fünf Städte, den das NOK kürzlich veröffentlicht hat. Dort liegt Hamburg mit 428 Punkten vor Leipzig (421), Frankfurt (417), Düsseldorf (409) und Stuttgart (408). Zwar sieht Steinbach das durchaus umfassende Werk, zusammengetragen von elf Evaluatoren, als „hervorragende Grundlage zur Meinungsbildung“ für jene 73 Wahlleute, die Mitte April in München abstimmen werden, andererseits scheut das Papier auch nur den Ansatz einer klaren Aussage. Hamburg, so muss man den Bericht wohl deuten, ist mit seiner „extrem überzeugenden Bewerbung“ zwar der Lieblingskandidat des engsten NOK-Zirkels, was besonders im Hinblick auf die internationale Konkurrenzfähigkeit durchaus verständlich ist und Sinn macht, gleichzeitig möchten es sich die deutschen Herren der Ringe aber auch mit den anderen Kandidaten nicht vorschnell verscherzen. So „erstklassig und unmissverständlich“ wie DSB-Präsident Manfred von Richthofen den Bericht empfindet, ist der keineswegs, mit „Eiertanz“ dürfte das Werk schon besser umschrieben sein.

Schon werden Stimmen laut, das NOK habe der Hansestadt einen Bärendienst erwiesen, sie derart wachsweich als Klassenprimus hervorzuheben; ein bisschen ist das wie früher mit den Strebern in der Schule, die ja auch keiner leiden mochte, zum Klassensprecher jedenfalls wurden sie nie gewählt. Hinzu kommt so manche öffentliche Kritik am Evaluierungsbericht, vor allem Stuttgart und Düsseldorf sehen sich im ein oder anderen Punkt all zu ungerecht behandelt, im Gegensatz dazu komme Hamburg bisweilen viel zu schöngefärbt weg. Letztendlich handelt es sich dabei zwar meist um Haarspaltereien, der öffentlichen Stimmungsmache gegen die Hansestadt aber dient diese allemal.

Genau diese Stimmung aber könnte am 12. April den Ausschlag geben, wenn in München die 73 Wahlleute ihre insgesamt 137 Stimmen abgeben. Und als gar nicht günstig für die Stadt an der Alster gilt, dass die Präsidenten der 32 Fachverbände mit olympischen Sportarten mitvotieren dürfen – und das jeweils dreifach. Über 96 Stimmen verfügen die Verbandsfürsten somit, macht rund 70 Prozent. Ein Umstand, der aus den Letzten der Evaluierung durchaus die Ersten werden lassen könnte. Vor allem Düsseldorf, aber auch Stuttgart werden beste Drähte zu den jeweiligen Sportbossen nachgesagt, Hamburg und auch Leipzig hingegen soll eine solche Hausmacht fehlen. Das könnte sich am Ende bitter rächen. Beste Bewerbung hin oder her.

Bis zur Entscheidung am 12. April stellt die taz in loser Folge die fünf Bewerberstädte und ihre Chancen vor.