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Archiv-Artikel

eheliche umerziehungsaktion von EUGEN EGNER

Die musikalischen Vorlieben seiner Ehefrau sind meinem Jugendfreund Trutzhahn seit jeher ein Gräuel. Noch immer, nach all den Jahren mit ihm, verschmäht sie in Bezug auf Musik, wie er sich auszudrücken beliebt, feste Nahrung und bevorzugt stattdessen den minderwertigen akustischen Brei, den eine verbrecherische Industrie aus niederen Beweggründen in die Hirne Heranwachsender pumpt. Das hält Frau Trutzhahn so jung, dass der Kinderarzt, den sie mit ihrem kleinen Sohn kürzlich aufsuchte, nach Abschluss einer Untersuchung des Letzteren zu ihr sagte: „So, nun kannst du dein Brüderchen wieder anziehen.“

Es steht zu fürchten, dass der Sohn durch das Beispiel der unreifen Mutter in Gefahr gerät! Als ein Mann der E-Musik weigert sich mein alter Freund, länger einen solchen Zustand der Kulturlosigkeit an seiner Seite zu dulden. Er sieht sich gezwungen, rettend einzugreifen. Zunächst wirft er sämtliche Popularmusik-Konserven der Gattin auf den Müll: „Tabula rasa, zivilisatorischer Neubeginn von Grund auf.“ Systematisch will er sodann den armen Wilden höchstes Kulturgut nahe bringen. Am Telefon erläutert er mir stolz und siegessicher seine Strategie.

Laut Spielplan der Städtischen Bühnen wird in vierzehn Tagen Mozarts „Zauberflöte“ gegeben. Nach Trutzhahns Dafürhalten bleibt noch genügend Zeit zur Vorbereitung, und er kauft zwei Karten. Am ersten Abend der Umerziehungsaktion will er gemeinsam mit der Gemahlin das ganze Singspiel auf CD anhören. Wie ich ihn kenne, wird er im Anschluss daran Bücher herbeischleppen und seiner Schülerin beim Wein Werk und Leben des Meisters erklären, bis er sich allgemach in die Vorstellung verrennt, er selbst sei Mozart. Glücklos dürfte er sodann versuchen, die Wiener Mundart zu imitieren, und vorzeitig so betrunken sein, dass die vermeintliche Konstanze ihn zu Bett bringen muss. Am folgenden Abend wird „Die Zauberflöte“ selbstverständlich nochmals angehört, diesmal ohne Bücher, aber, wie ich mir lebhaft vorstellen kann, angereichert mit hektischen Kommentaren. Als nächsten Schritt will der selbst ernannte Musikpädagoge ein eheliches Opern-Quiz veranstalten, um den Unterrichtserfolg zu kontrollieren. Ich fürchte, dass der diesbezügliche Bildungsstand seiner so desinteressierten wie duldsamen Gemahlin ihn zu nochmaligem Abspielen der „Zauberflöte“-CDs sowie etlichen Wiederholungen der theoretischen Lektionen veranlassen wird, unterdrücke ihm gegenüber aber eine derart defätistische Äußerung.

Als ich ihn in dieser Zeit einmal abends aufsuchen will, erklärt mir Trutzhahn, er könne bis auf weiteres keinen Besuch gebrauchen. Man lese nämlich soeben das Libretto zur „Zauberflöte“ mit verteilten Rollen: er alle männlichen, die Gattin alle weiblichen. An den kommenden Tagen erfahre ich telefonisch, dass die Schulungsmaßnahmen unvermindert anhalten. Die Zeit wird also intensiv genutzt, und als es dann so weit ist, liegt die Frau mit rätselhaften Symptomen darnieder. Ich muss mit in die Oper.