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Archiv-Artikel

Arbeit an den Tagesresten

Trügerische Schönheit, flüchtige Schatten: Brian De Palmas Thriller „Femme Fatal“ variiert die Bildwelt des Film Noir und träumt vom Geschlechterkampf. Die Heldin agiert in ihrem eigenen Fantasieszenario, nicht in dem des männlichen Helden

Sterben oder Überleben, Gewinn oder Verlust: Am Ende ist alles noch offen

von ELISABETH BRONFEN

Liebe fürs Kino, das hat Alfred Hitchcock in seinem Meisterwerk „Vertigo“ vorgeführt, ist Liebe für das Bild einer Frau. Nicht irgendeiner Frau natürlich, sondern einer geheimnisvollen, die fasziniert, weil sie ihre wahren Intentionen verborgen hält. Sie nutzt ihre Verführungskraft, um zu bekommen, was sie will. Dabei treibt sie den Mann, der ihr verfallen ist, in den Ruin, auch wenn sie am Ende mit dem eigenen Leben bezahlen muss. Denn sie ist die Leitfigur in Traumgeschichten, die um gefährliche Verbrechen und fatale Obsessionen kreisen.

Eine Chiffre fürs Kino selber ist die femme fatale auch deshalb, weil sie auf dessen Phantomcharakter verweist: Als perfekte Manipulatorin ist sie immer eine Schauspielerin, die für den Helden, mit dem wir uns als Zuschauer identifizieren, ein Begehren verkörpert, das so trughaft ist wie das Filmbild selber: ein flüchtiger Schatten, den die Projektion von Licht auf einer Leinwand erscheinen lässt.

Mit der ersten Einstellung seines neuen Films „Femme Fatale“ spielt Brian De Palma deutlich auf diese Bildtradition an. Eine schöne, nackte Frau, Laura Ash (Rebecca Romijn-Stamos), liegt auf einem Hotelbett vor einem Fernseher und starrt regungslos auf das tödliche Liebesduell am Ende von Billy Wilders „Double Indemnity“. Sie studiert die Bewegungen ihrer Vorfahrin. Barbara Stanwyck hat ihren Geliebten angeschossen, liegt nun aber in seinen Armen und gesteht ihm, sie sei durch und durch korrupt. Während der Schuss fällt, mit dem ihr Liebhaber auf dieses merkwürdige Geständnis antwortet, tritt ein Mann (Eriq Ebouaney) ins Hotelzimmer und schaltet den Fernseher aus. Eine andere Szene des Verbrechens hat begonnen, in der Laura Ash eine Variation dieser diabolischen Frau spielen wird.

Ihrer Rolle entsprechend wird sie bei einem Juwelendiebstahl während der Filmfestspiele in Cannes 2001 ihre Partner betrügen und allein mit der Beute verschwinden. Nachdem sie nach Paris geflüchtet ist, entfaltet sich ein narratives Puzzle, das aus den Versatzstücken des klassischen Thrillers zusammengesetzt ist: Identitätswechsel, Täuschungen, Verrat, bis die Vergangenheit sie schließlich einholt. Am Ende wird Laura auf einer Brücke stehen und ihrem Geliebten Nicolas (Antonio Banderas), den sie in ihre trügerischen Machenschaften verwickelt hat, den Satz wiederholen, den sie von Barbara Stanwyck gelernt hat. Wir haben es scheinbar mit der Vexierfrage der Postmoderne zu tun. Wir sind durch die Bilder, die wir sehen, geprägt und können diese nur als Klischee nachahmen.

„Femme Fatale“ ist ein Film für Cineasten, die ein ausgeklügeltes Zitierspiel genießen, bei dem eine Vielfalt an Variationen auf die Bildwelt sowohl des film noir als auch Brian De Palmas eigenem Filmschaffen ausgebreitet wird. Obgleich Rebecca Romijn-Stamos ihre sinnlichen Reize genussvoll darbietet und selber sichtlich darüber erfreut ist, wie sehr sie auf ihre Verführungskraft zählen kann, geht es hier nicht um ein Kino emotionaler Affekte. Leidenschaftlich ist allein die intellektuelle Beschäftigung mit Kinobildern, die wiederholt als Bild einer schönen Frau verhandelt wird: als Bild der trügerischen Schauspielerin Veronica (Rie Rasmussen), die während ihres Auftritts auf dem Filmfestivals als Oberteil nur jene goldene, mit Diamanten besetzte Schlange trägt, die von Laura entwendet wird; als Bild der in schwarze Tücher gehüllten femme fatale, die auf der verzweifelten Suche nach einem Pass vom Feldstecher ihres betrogenen Komplizen eingefangen wird und zugleich vom Teleobjektiv des ehemaligen Paparazzi Nicolas, der versucht, von einem Platz in Belleville aus eine überdimensionale Fotomontage zusammenzusetzen.

Eine weitere Variation des Themas bildet jenes Bild Lauras, als Gattin des amerikanischen Botschafters nach Paris zurückgekehrt, auf dem sie ihre Hand vor ihr Gesicht hält, um sich vor der Kamera des Paparazzo zu schützen, aber auch dessen Kontrapunkt: die in schwarze Spitzenwäsche gekleidete Laura, die den Geliebten mit einem selbstironischen striptease noch einmal verführt, indem sie Pin-up-Posen aneinander reiht.

Natürlich hat die klassische femme fatale immer als reines Fantasiegebilde des Noir-Helden fungiert. Ihre erotische Macht diente als Symptom seiner ambivalenten Angst vor Sexualität, und wenn sie ihn erfolgreich betrügen konnte, dann deshalb, weil er betrogen werden wollte. Erst der Neo-noir der 90er-Jahre hat den fatalen Frauen eine Eigenständigkeit zugesprochen und Geschichten entwickelt, in denen sie selber die zentrale Rolle in einem Fantasieszenario einnehmen, um ungestraft die Macht ihrer Sexualität wie ihrer Zerstörungslust zu genießen.

Brian De Palma greift diese Entwicklung auf, fügt jedoch seinem Spiel mit Zitaten eine entscheidende Komponente hinzu. Der Thriller, der sich vor unseren Augen abspielt, ist explizit der Albtraum seiner Heldin, und die sie verfolgenden Männer – die Gangster sowie der Fotograf – sind Projektionen ihrer Angst. Ihr prophetischer Traum setzt nämlich ein, nachdem einer der Juwelendiebe sie über das Gelände vor ihrem Hotelzimmer geworfen und sie nur durch ein Wunder überlebt hat. In der Wohnung einer Fremden, deren Eltern sie nach dem Sturz aufgelesen haben, liegt sie in der Badewanne und schläft ein.

Akribisch folgt Brian De Palma der von Freud vorgestellten Logik des Traums

Akribisch folgt Brian De Palma jener von Freud vorgestellten Logik des Traums, die besagt, dieser würde dazu dienen, nicht abreagierte Tagesreste zu verarbeitet. Tatsächlich tauchen die Menschen, Gegenstände und Orte des ersten Teils ein zweites Mal auf, um als Wiederholung sichtbar zu machen: Das vorgeführte Szenario von falschen Identitäten, Betrug und Gewalt ist Lauras Verarbeitung des Geschlechterkampfes, dessen mörderische Konsequenzen sie gerade am eigenen Leib erfahren hat. Auch das ist eine Variation auf das Thema der gefährlichen Frau als begehrtes Bild. Im Hotelzimmer in Cannes hatte Laura sich von ihrem Partner ins Gesicht schlagen lassen, um ihm wenige Minuten später vor Augen zu führen, wie leicht es für sie ist, das Bild der ihm dienenden Frau zu durchkreuzen. Für diesen doppelten Betrug – der Flucht mit der Beute und der Auflehnung gegen eine vorgeschriebene Unterwürfigkeit – soll sie mit dem Tod zahlen. So wird die lustvolle Zerstörung ihrer Person im Verlauf des Films durchdekliniert – als Wurf vom Balkon, von einer Brücke oder vor einen Lastwagen.

Brian De Palma hat in einem Interview erklärt, ihn habe eine Umkehrung jenes Diktats des klassischen film noir interessiert, der ein happy end verbietet. Denn dort sehen sich die Protagonisten immer vor eine ausweglose Wahl zwischen Geld und Leben gestellt. Wählen sie die Beute, bezahlen sie mit dem Leben. Ein Leben ohne das gestohlene Geld können sie gar nicht wählen, weil sie zu sehr in ihr Schicksal verstrickt sind. Brian De Palma hingegen bietet seiner femme fatale die Möglichkeit einer wirklichen Entscheidung. Man kann sein Schicksal verändern, lautet die Botschaft ihres Albtraums, und zwar prägnanterweise, indem man die eigenen Fantasien umschreibt. Alle Frauen – Laura, ihre Komplizin Veronica und auch Lily, in deren Wohnung sie zu träumen beginnt – könnten am Ende tot sein. Aber weil Laura sich entschließt, im entscheidenden Augenblick anders zu handeln, als sie es im Traum getan tat, können alle überleben. Wir haben es also auch mit einer philosophischen Wette zu tun: Wenn man seine eigene Zukunft nicht nur träumt, sondern auch Konsequenzen daraus zieht, kann man die Richtung, die das Leben einschlagen wird, selbst bestimmen. Die Verantwortung zum Überleben wie zum Glück liegt beim Einzelnen.

Dennoch läuft der Film auch auf ein Foto der femme fatale hinaus, das sie als eingefrorenes Bild verewigt. Eine Aufnahme von Laura als Zeugin jenes Unfalls, für den Brian De Palma zwei Variationen in „Femme Fatale“ anbietet, bildet das letzte Teil in Nicolas' Fotomontage, die ihrerseits das Gesamtthema des Films wiederspiegelt. Als Patchwork einzelner Bilder, die zusammengesetzt ein Gesamtbild ergeben, auf dem dieselben Figuren mehrmals auftauchen, ist es die Chiffre für das, was Brian De Palma in seinen Filmen immer wieder besessen hat: das Prinzip des Déjà vu, der Wiederholung und der Nebeneinanderstellung von zeitlich und räumlich getrennten Bildelementen.

So hängt bis zum Schluss alles an der femme fatale. Wie ein Maler, der Monate lange vor einer Fassade sitzt und darauf wartet, dass das Licht sie genau richtig trifft, wartet Nicolas auf seinen letzten Bildausschnitt. Auf seiner Fotomontage befindet sich zwar bereits ein Abbild von Laura, und zwar eines, das er gegen ihren Willen machte. Doch erst die zweite Aufnahme, in der sie wie von einem weißen Licht umhüllt erscheint, macht das Gesamtbild komplett: weil hier ein Augenblick, in dem alles noch anders werden könnte, eingefangen worden ist. In dem Moment, in dem Nicolas auf seinen Auslöser drückt, ist noch nichts entschieden. Sterben oder Überleben, Gewinn oder Verlust – alles ist noch offen. Das Prinzip des Zufalls, an dem das Überleben der femme fatale hängt, hält die Fotomontage – und implizit auch den gesamten Film – zusammen. Darin besteht Brian De Palmas inspirierte Umkehrung seines verehrten Vorbilds Hitchcock.

„Femme Fatale“, Regie: Brian De Palma. Mit Rebecca Romijn-Stamos, Antonio Banderas u. a. Frankreich/USA 2002, 112 Min.