Ein Außenseiter der Filmgeschichte: Nicolas-Roeg-Reihe im B-Movie : Bewusste Desorientierung des Zuschauers
Nicolas Roeg ist ein umstrittener Regisseur. Selbst über seine von vielen Fans und Kritikern am meisten verehrten Filme aus den 70er Jahren wie Don‘t Look Now (Wenn die Gondeln Trauer tragen) gehen die Meinungen damals wie heute weit auseinander. Der Filmhistoriker David Thomson bescheinigt dem 1928 geborenen Engländer, der als Kameramann unter anderem für Roger Corman (Masque of the Red Death), Francois Truffaut (Fahrenheit 451) und Richard Lester (Petulia) gearbeitet hat, gerade mal eine „superficial originality“.
Bedenkt man die Schwierigkeiten, die Roeg schon bei seiner ersten, noch gemeinsam mit Donald Cammell realisierten Regiearbeit Performance hatte, dann muss man fast froh sein, dass er überhaupt eine, seit Mitte der 80er Jahre freilich nicht mehr mit so großen Würfen aufwartende Regiekarriere gemacht hat. Nicht nur legten die einen gradlinigen Gangsterfilm erwartenden Produzenten Performance 1968 erst mal für zwei Jahre auf Eis – der Kritiker Richard Schickel nannte das Werk dann auch noch „the most disgusting, the most completely worthless film I have seen since I began reviewing“. Vergleichbar nur mit Michael Powells Peeping Tom zehn Jahre zuvor und mit Roegs eigenem Bad Timing gut zehn Jahre später hatten Roeg und Cammell wohl etwas zu radikal mit den Konventionen des britischen Kinos gebrochen.
Eine bewusst auf Desorientierung des Zuschauers angelegte Montagetechnik hatte in Frankreich freilich schon Alain Resnais in Filmen wie Muriel mit durchaus positiver Resonanz verwendet. Dass aber in einer zunächst klassisch daherkommenden Genre-Geschichte nicht nur die Linearität der Handlung aufgehoben wird, sondern auch die Persönlichkeiten eines Auftragskillers und eines Rockstars immer mehr zusammenfließen, war dann wohl doch noch zu viel. Heute schaut man dem Treiben von James Fox, Mick Jagger und Anita Pallenberg im ausgehenden Swinging London fast schon etwas zu entspannt zu.
Die nachhaltige Irritation aber, auf die Roegs Filme aus sind – bei Don‘t Look Now funkioniert sie auch noch nach über 30 Jahren. Ja, das elegant zwischen Thriller, Horrorfilm und Melodram angelegte Werk kommt einem mit wiederholtem Sehen immer rätselhafter und verstörender vor. Nicht nur in der berühmt gewordenen Liebesszene zwischen Donald Sutherland und Julie Christie lässt sich Roegs besonderer Stil studieren, dessen Verfahren eben doch sehr viel mehr sind als bloße modische Gimmicks: Wenn er zwischen die Bilder vom eigentlichen Akt immer solche des unspektakulären Danach schneidet, dann können Gefühle von Sicherheit oder Geborgenheit gar nicht erst aufkommen. Die Ansichten des winterlich grauen Venedigs und die damit kontrastierenden grellroten Farbtupfer tun da nur noch ein Übriges.
Vom Erfolg dieses Films beflügelt, den der unbestechliche Manny Farber „a scene by scene richness unique in films“ bescheinigte, wollte es Roeg 1976 bei The Man Who Fell to Earth wohl wirklich wissen: „to push the structure of film grammar into a different area … by taking away the crutch of time which the audience holds onto“. Kann man dem Plot um den von David Bowie gespielten Außerirdischen, der auf die Erde kommt, um Wasser für seinen sterbenden Planeten zu finden, anfangs gut folgen, so gibt Roeg dem Zuschauer dazu irgendwann einfach nicht mehr die dazu nötigen Informationen: Ein „offenes Kunstwerk“, wie für Umberto Ecos Begriff gemacht.
Der wohl kontroverseste von Roegs kontroversen Filmen – und die inzwischen größte Rarität – aber dürfte der vier Jahre danach gedrehte Film Bad Timing sein, den er selbst für seinen besten hält und bei dem die Urteile der anderen von „a sick film made by sick people for sick audiences“ bis zu „Der Vertigo des englischen Kinos“ reichen. Erstmals drehte er hier mit seiner späteren Ehefrau Theresa Russel und schickte sie gleich mit Art Garfunkel und Harvey Keitel in ein abgründiges Dreieck voll sexueller Hörigkeit, Neurose und Gewalt. „A sensual Obsession“ heißt der Film im Untertitel – eine Besessenheit, für die Nicolas Roeg einige der definitiven Filmbilder gefunden hat. Eckhard Haschen
Nicolas Roeg-Reihe im B-Movie: Performance 5., 7. + 8.2., 20.30 Uhr, 7.2. auch 23 Uhr; Bad Timing 12., 14. + 15.2., 20.30 Uhr, 14.2. auch 23 Uhr; The Man Who Fell to Earth 19., 21. + 22.2., 20.30 Uhr, 21. 2. auch 23 Uhr; Don‘t Look Now 26., 28. + 29.2., 20.30 Uhr, 28.2. auch 23 Uhr