zwischen den rillen
: Neuer Söldner an der HipHop-Front: 50 Cent

Ankündigung eines Märtyrertods

Auch an der amerikanischen Heimatfront tobt derzeit ein Krieg: Rapper gegen Rapper, Label gegen Label und das FBI gegen alle. Um Beats und Rhymes geht es dabei schon lange nicht mehr, sondern um Mord und Totschlag, organisiertes Verbrechen und Drogenmillionen. Die Protagonisten bewegen sich längst wie afghanische Warlords in gepanzerten Fahrzeugen, begleitet von einer Entourage schwer bewaffneter Leibwächter. Auch wenn Louis Vuitton und Prada immer noch zu den Lieblingsmarken der HipHop-Stars zählen – das Accesoire der Stunde ist eine schusssichere Weste der Marke p.a.c.a, aufgelockert durch einen Pistolenhalfter im Gucci-Look.

Nichts als Showbusiness? Eine berechtigte Frage. Jam Master Jay, einst DJ der Oldschool-Legende Run DMC und Entdecker des aktuellen Superstars 50 Cent, wird sie nicht mehr beantworten können: FBI-Ermittler gehen davon aus, dass seine Ermordung vor sechs Monaten in direkter Verbindung mit einer Fehde zwischen 50 Cent und dem Labelimperium „Murder Inc.“ steht, das die Karrieren seiner Platinstars wie Ja Rule und Ashanti vermutlich aus den Drogenmillionen eines gewissen Kenneth „Supreme“ McGriff finanziert hat.

Kein Wunder also, dass die New Yorker Polizei längst eine HipHop-Task-Force ins Leben gerufen hat, die sich rund um die Uhr mit den außermusikalischen Aktivitäten der Stars und Sternchen beschäftigt. Und da sage noch einer, die deutsche Musikindustrie habe Probleme.

Wer hier Probleme hat, das sind eher weiße Mittelschichtskritiker, die derlei Umtriebe kommentieren sollen oder schlimmer noch: die nebenbei veröffentlichte Musik. Denn mit Platten wie 50 Cents „Get Rich or Die Tryin’ “ hat der Alltag eines deutschen Rezensenten in etwa so viel zu tun wie mit den Kriegswesen tschetschenischer Rebellen: nichts, aber auch rein gar nichts.

50 Cent berichtet lakonisch aus dem Herzen der Finsternis, einer apokalyptischen Bürgerkriegsgegend namens New York City. Was er zu sagen hat, wollten bislang derart viele Amerikaner hören, dass sein Album zu der schnellstverkauften Platte aller Zeiten avancierte: 800.000 Einheiten gingen in den ersten sieben Tagen über die Ladentheken, weitere zwei Millionen in den zwei Wochen darauf. Zahlen, die selbst Eminem vor Neid erblassen ließen – würde er nicht als Labelboss und Koproduzent von 50 Cent kräftig mitverdienen.

Was den vor 27 Jahren als Curtis Jackson Geborenen so erfolgreich macht, ist nichts weiter als die eine entscheidene Drehung mehr an der Authentizitätsschraube eines simplen Spiels namens Gangsta Rap. Wer real ist, so lauten die Regeln, liegt vorn. Wer wie 50 Cent im Alter von zwölf das Crackbusiness der ermordeten Mutter übernimmt und mit 18 Jahren 5.000 Dollar am Tag verdient, wer mit 24 einen Kopfschuss überlebt sowie acht weitere Treffer inklusive Hüftdurchschuss – der ist really real. Dem glaubt man Songtitel wie „Many Man (Wish Death Upon Me)“, dem möchte man nachts nicht auf der Straße begegnen. Ein Status, der nur noch durch das finale Level des Gangsta-Rap-Games getoppt werden kann: den Märtyrertod, der im HipHop wie im Dschihad Unsterblichkeit verspricht.

Doch auch wenn 50 Cent zweifellos sein Handwerk beherrscht – nur mit einem durch Einschusslöcher belüfteten Kiefer lässt es sich offenbar derart akzentuiert nuscheln –, so zeigt die Hysterie um ihn doch, in welcher Krise HipHop als Kunstform heute steckt.

95 Prozent aller Hits (und Flops) auf MTV sind von den ewiggleichen fünf bis sechs Multimillionären produziert – einer von ihnen, Dr. Dre, ist auch für die Hits auf „Get Rich …“ verantwortlich. 95 Prozent aller Videos sind von den fünf ewiggleichen Regisseuren gedreht, von den höchstens fünf Labels, die sämtliche Erfolgsplatten veröffentlichen und den fünf Grafikern, die sie gestalten, ganz zu schweigen.

Ein musikalisch-industrieller Komplex also, in dem Abgrenzung und Erfolg nur noch durch die (Selbst-)Ausbeutung von Images und die Projektionen realer und fiktiver Kriegszustände möglich zu sein scheint. Der beispiellose Erfolg eines 50 Cent, er wäre in diesem Kontext nicht mehr als eine brillant erzählte Episode in der Chronik eines angekündigten Todes. CORNELIUS TITTEL

50 Cents: „Get Rich or Die Tryin’ “ (Shady/Aftermath/Intersope)