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Archiv-Artikel

Wenn es weh tut, war es gut

Jetzt wissenschaftlich erwiesen: Wer bei 30 Grad im Schatten durch den Park joggt, ist nicht bekloppt, sondern hat einen billigen Weg gefunden, seine Lust am Schmerz öffentlich auszuleben

„Eine sportliche Anstrengung ist mit einem Orgasmus vergleichbar“

taz ■ Selbst beim Yoga geht es nicht ohne. Beim Laufen oder Tanzen auch nicht. Und beim Boxen schon gar nicht. Ob blutige Zehen oder Nasen, ob schmerzende Waden oder ein staubtrockener Hals – Sport tut weh. Immer. Und während sich Ärzte um Sportverletzungen wie Knochenbrüche und Bänderrisse kümmern, beschäftigen sich Psychologen und Philosophen mit der Lust am Leiden beim Sport – zuletzt auf einer Tagung an der Universität Bremen Ende letzter Woche.

Sich noch einen Kilometer weiter zu quälen als beim letzten Mal oder immer schwerere Gewichte zu stemmen – genau das sei der Reiz, der „Kick“, der Freizeit- und ProfisportlerInnen in Fitness-Studios, Turnhallen und auf Sportplätze treibt, sagt die Bremer Sportphilosophin und Tagungs-Organisatorin Monika Thiele. Den wenigsten Sporttreibenden sei aber bewusst, dass sie sich auf der Suche nach Schmerz befänden, so Thiele. Dabei gehe es meistens nur darum, sich zu spüren – „merken, dass man lebt“, wie ein Leistungssportler es ausdrückt.

„Manche rennen auch vor einem inneren Schmerz weg“, sagt Sportwissenschaftlerin Thiele. Körperliche Schmerzen sollen seelisches Leiden vergessen machen. Negativ sei das aber nicht, sagt der Psychoanalytiker Helmut Däuker. Schmerz werde zwar häufig als destruktiv oder störend erlebt. Er könne aber – wie Angst – auch „ein Weg zur Selbsterhaltung sein“. Diese Widersprüchlichkeit sei im Sport besonders deutlich, sagt Däuker: „Eigentlich wollen wir alles vermeiden, was weh tut, aber im Sport erleben wir Schmerz als Lustgewinn.“

Der Psychoanalytiker hat sich mit der Lust beschäftigt, die Menschen suchen, wenn sie sich tätowieren oder piercen lassen oder sich mit dem Messer verletzen, „cutting“ genannt. „Sport ist dagegen eine vergleichsweise gesunde Möglichkeit sich selbst zu spüren“, sagt Däuker. Und von Abhängigkeit könne man erst sprechen, „wenn jemand sich nur entspannen kann, nachdem er oder sie vorher zehn Kilometer gelaufen ist.“

Der Philosoph und ehemalige DDR-Hammerwerfer Volker Caysa betont hingegen das Machtgefühl über den eigenen Körper: „Man kann selbst bestimmen, wie weit man geht und die Dosierung des Schmerzes erhöhen“. Zum Beispiel eine Übung im Fitness-Studio erst 20-mal und dann 21-mal zu wiederholen. „Sport ist eine Körpertechnik und darin der Sexualität sehr ähnlich“, sagt Caysa. „So ein totaler Erschöpfungszustand nach einer sportlichen Anstrengung ist mit einem Orgasmus vergleichbar.“

Der Vorteil des Sports gegenüber dem Sex: „Im Sport können diese Lusterlebnisse auch noch öffentlich ausgelebt werden – ohne dass man dafür verhaftet wird.“ Und Jogger, die sich mit letzter Kraft durch den Park schleppten, würden sogar noch bewundert, sagt Caysa.

Er kennt noch einen Grund, sich sportlich auszupowern: Das Bedürfnis, sich etwas zu beweisen. Motto: „Da musst Du jetzt noch durch“. Erst wenn es weh tue, habe man das Gefühl, auch wirklich etwas erreicht zu haben. Und richtig schön wird es später. Wenn der Schmerz endlich nachlässt.

Eiken Bruhn