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Archiv-Artikel

Ohne Antrag geht gar nichts

Die Post-Sozialticket-Ära: Stützeempfänger müssen jede U-Bahn-Fahrt genehmigen lassen, die Ämter stöhnen über „irrsinnigen“ Verwaltungsaufwand. Ein Stadtrat: Am Ende wird’s für Berlin teurer

von RICHARD ROTHER

Es ist eine Wissenschaft für sich. Welcher Sozialhilfeempfänger bekommt in welchen Fällen wie viel Geld für Fahrkosten erstattet, seit der rot-rote Senat das Sozialhilfeticket abgeschafft hat? Damit spart der Senat in diesem Jahr rund 17 Millionen Euro. Die anfallenden Kosten müssen nun die Sozialämter in den Bezirken übernehmen.

So viel ist immerhin klar: Ein Sozialhilfeempfänger hat ein Recht auf Mobilität, erstattet werden müssen alle notwendigen Fahrten. Aber nur, wenn diese mehr als 20,40 Euro im Monat kosten sind. So viel Geld ist nämlich in dem so genannten Sozialhilferegelsatz für Fahrkosten bereits enthalten.

Welche Fahrten aber notwendig sind, ist nicht eindeutig geregelt. Außerdem kann das Sozialamt im Einzelfall auch verlangen, bestimmte (kurze) Wege zu Fuß oder möglicherweise mit dem Fahrrad zurückzulegen. Unzweifelhaft notwendige Fahrten sind solche zur Erwerbsarbeit: Sozialhilfeempfänger, die arbeiten gehen und ergänzende Sozialhilfe beziehen, weil sie nur gering verdienen, haben also einen Anspruch auf Erstattung ihrer Fahrkosten. Im Regelfall dürfte ihnen eine Monatskarte bezahlt werden, da diese billiger ist als viele Einzelfahrscheine. Auch Sozialhilfeempfänger, die zur gemeinnützigen Arbeit herangezogen werden, bekommen ihre Wegekosten erstattet.

Notwendige Fahrten sind auch solche zum Arzt, zur Kita oder um pflegebedürftige Verwandte zu besuchen. Die Fahrten müssen aber vorher beim Sozialamt beantragt werden. Legt der Betroffene das Geld aus, geht das Sozialamt davon aus, dass er sich das selber leisten kann – die Unterstützung bliebe aus.

Absurd wird die Erstattung der Fahrkosten für den Fall der Arbeitssuche: Möchte ein Sozialhilfeempfänger zu einem Bewerbungsgespräch fahren, kann er diese Kosten in der Regel beim Sozialamt anmelden. Handelt es sich aber um einen Sozialhilfeempfänger, der Arbeitslosenhilfe oder -geld bezieht und nur ergänzende Sozialhilfe bekommt, ist die Agentur für Arbeit für seine Werbungskosten zuständig.

Fazit: Die Abrechnung der Fahrkosten für Stützeempfänger ist irre kompliziert, zudem muss jeder Fall einzeln bewertet und entschieden werden. Und: Betroffene werden davon abgeschreckt, gehen zu Fuß oder bleiben zu Hause.

Aber nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Sozialämter stöhnen. „Das Ganze bedeutet einen riesigen Verwaltungsaufwand“, kritisiert Bernd Krömer (CDU) , Sozialstadtrat von Tempelhof-Schöneberg. Zudem sei die Regelung für das Land Berlin am Ende teurer, nur dass zunächst die Bezirke die Lasten schultern müssten. Denn nach Berechnungen des Reinickendorfer Sozialstadtrats Frank Balzer (CDU) kostet die neue Regelung die Bezirke rund 30 Millionen Euro im Jahr – gegenüber 17 Millionen für das Sozialticket. Krömer: „Das muss zurückgenommen werden.“ Auch der Pankower Sozialstadtrat Johannes Lehmann (SPD) kritisiert die neue Regel, die seit dem 1. Januar gilt. „Der Verwaltungsaufwand ist irrsinnig.“

Jeder Einzelfall müsse geprüft werden, betont die Sprecherin der Sozialverwaltung, Regina Kneiding. Das Sozialticket sei bundesweit einmalig gewesen, jetzt müsse eben das Sozialhilfegesetz im Einzelfall mit Leben erfüllt werden. Dennoch bemühe sich Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) darum, im nächsten Jahr ein neues Sozialticket anzubieten. Die Monatskarte für Bedürftige, deren Zahl durch die Hartz-Reformen der rot-grünen Bundesregierung zunehmen dürfte, soll dann rund 39 Euro kosten – fast doppelt so viel wie das alte Sozialticket.